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Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges

Titel: Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
Autoren: Anne Golon
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niederzulassen brauchte, die auf Pfählen am Wasser errichtet worden war? Aber es war schwierig, Valentin zu verstehen. Er hatte eine kräftige Gesichtsfarbe und war für seine zwölf Jahre schon von geradezu herkulischer Gestalt. Darüber hinaus war er stumm wie ein Fisch und hatte einen leeren Blick. Und die Leute, die neidisch auf den Müller waren, behaupteten, er sei ein halber Idiot.
    Nicolas, der redselige, großspurige Hirte, sammelte mit Angélique Pilze, Brombeeren und Heidelbeeren. Mit ihm suchte sie Esskastanien. Und er schnitzte ihr Flöten aus Nussbaumholz.
    Die beiden Jungen waren sich spinnefeind und neideten einander jede von Angéliques Gunstbezeugungen. Sie war bereits so hübsch, dass sie bei der einfachen Bevölkerung als eine lebende
Verkörperung der Feen galt, die im großen Dolmen auf dem Hexenfeld lebten.
    Und sie hatte große Träume.
    »Ich bin eine Marquise«, verkündete sie jedem, der es hören wollte.
    »Ach ja? Und wie kommt das?«
    »Weil ich einen Marquis geheiratet habe«, antwortete sie.
    Der »Marquis« war abwechselnd Valentin, Nicolas oder einer der anderen friedfertigen kleinen Jungen, die sie durch Wiesen und Wälder hinter sich herschleppte.
    »Ich bin Angélique, die Engelsgleiche«, sagte sie dann noch auf ihre entzückende Art, »und ich führe meine kleinen Engel in die Schlacht.«
    So war sie zu ihrem Spitznamen gekommen: die kleine Marquise der Engel.
     
    Fast jedes Jahr durchbrach die Ankunft der Hausierer die etwas träge Beschaulichkeit der Heckenlandschaft. Sie brachten den Menschen alles, was sie brauchten, um ihre Träume und geheimen Leidenschaften wieder anzufachen.
    Es gab zwei von ihnen.
    Der eine wurde der »Auvergner« genannt, da die Vertreter dieses Gewerbes häufig aus den Bergen stammten. Mit seinem von einem Esel oder Maultier gezogenen, abgedeckten Karren, auf dem er eine große Auswahl an Kurzwaren, Geschirr und Stoffen transportierte, zog er von Haus zu Haus und nahm so die Aufmerksamkeit eines ganzen Dorfes für einen guten Tag in Anspruch. Er brachte die jährlichen Almanache, sodass man beinahe sicher sein konnte, sein Fuhrwerk gegen Mitte Dezember auftauchen zu sehen. Manche Kunden kannte er nicht einmal bei ihrem Namen, sondern er wusste die Orte, wo sie üblicherweise anzutreffen waren, oder die Treffpunkte, an denen sich gute Geschäfte machen ließen.

    Der andere, ebenfalls ein Mann aus den Bergen, ein Savoyarde vielleicht, war weniger verlässlich. Wenn die Tage verstrichen, griff allmählich eine gewisse Anspannung um sich. Doch irgendwann sah man schließlich ein Bauernmädchen über die Wiesen rennen und hörte es schreien: »Er hat seine Kiste dabei!«
    Er war ein kleiner Mann mit kohlschwarzen Augenbrauen und dunkler Haut, und er kam immer zu Fuß.
    Auf dem Kopf trug er einen Turban aus verwaschener Seide, in den er eine durch die Unbilden der Witterung arg zerrupfte Feder gesteckt hatte, die dennoch jedes Jahr aufs Neue ihr stolzes Aussehen wiedergewann. Sein Umhang reichte ihm bis zu den Knöcheln. Auf dem Rücken schleppte er einen Korb, der fast genauso hoch war wie er selbst und mit Nippes und ein paar Stoffstücken gefüllt war. Und an einem Tragriemen hing, unter den linken Arm geklemmt, die berühmte Kiste. Er war noch nie ohne seine Kiste gekommen, aber jedes Mal fürchtete man, er hätte durch irgendein Unglück, das einem für ein ganzes Jahr die Seele bekümmern würde, den Inhalt dieser Kiste bereits verkauft, ehe er nach Monteloup gelangte.
    Mit der rechten Hand hielt der Hausierer die kleinen blauen Büchlein hoch, die er aus seiner Kiste zog, und ließ die Blätter im Wind flattern wie ein Aussätziger seine Klapper.
    Doch statt die Menschen in die Flucht zu schlagen, lockte er sie damit in Scharen an. Und welches Glück er ihnen brachte...! Unter den Strohdächern der Hütten und den Gewölben der großen Schlossküchen begann eine Zeit der Entdeckungen, die alle Bewohner gefangen nahm.
    Nun schlug Hortenses große Stunde. Sie saß am Tisch und las laut vor, während sich Angélique und Nanette zu beiden Seiten an sie drängten und stumm mitlasen. Und wie groß war der Beifall, wenn sie ein Buch öffnete, ein wenig darin herumblätterte
und schließlich allen verkünden konnte, dass sie die Fortsetzung einer Geschichte hören würden, deren Anfang sie bereits gelesen hatte: Nicolette und Aucassin, das Heldenlied vom tapferen Roland und seinem Schwert Durendal, Karl der Große, König Artus, die Ritter der Tafelrunde
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