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Angela Merkel

Titel: Angela Merkel
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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Klarheit, des Durchdachten. Kirchhof sollte Merkels Finanzexperte sein, mit Aussichten auf das Amt des Bundesfinanzministers. Kirchhof stand für die Idee eines einheitlichen Steuersatzes von 25 Prozent für alle Bürger und Unternehmen. Er konnte das mit klugen, schönen Worten begründen. Am Ende der Veranstaltung wurde er von einer aufgekratzten Ursula von der Leyen vor die Kameras gezogen, und da wirkte er irritiert und unbeholfen, und in seinem Gesicht stand die Frage, warum das denn sein müsse.
    Es war die Generalfrage an den Politikbetrieb: Warum seid ihr so, wie ihr seid? So kameragierig, so oberflächlich, so wenig kundig in den Sachfragen, so ewig unentschieden und wankelmütig. Kirchhof schien das Gegenteil zu sein, ein Experte, endlich. Seit langem gab es diesen Traum von einer Regierung der Technokraten, die sich nicht scheren um Machtspielchen, sondern aufrecht undkundig Sachfragen lösen. Merkel verwandelte diesen Traum in Fleisch und Blut: Dass sie Kirchhof in ihr Kompetenzteam aufnahm, wirkte zunächst wie ein Scoop. Sie bekam viel Lob dafür, noch mehr Lob bekam Kirchhof. Ein Erlöser.
    Das Gegenteil von Paul Kirchhof ist Gerhard Schröder, im August 2005 noch Bundeskanzler. Schröder war Politiker durch und durch, ein Machtspieler, kameragierig, oberflächlich, wenig kundig in Sachfragen, wankelmütig, aber immerhin nicht ewig unentschieden. Er entschied sich für die Agenda 2010, weshalb er nach allen Umfragen im August 2005 mit seiner Abwahl rechnen musste. Um das zu verhindern, brauchte Schröder einen Gegner, auf den er sich stürzen konnte. Im Zweikampf kann er seine Stärken am besten mobilisieren. Und diesen Gegner hatte ihm Angela Merkel vor die Fäuste gestellt: Paul Kirchhof. Es begann eine ziemlich widerwärtige Diffamierungskampagne. Schröder machte aus dem Menschen Kirchhof den »Professor aus Heidelberg«, malte ihn als kalten, abgehobenen Mann, der antrete, um den Reichen zu geben, auf Kosten der Armen natürlich. Kirchhof war dieser Kampagne nicht gewachsen. Er stellte Argument gegen Beschimpfung und drang nicht durch. Er kannte dieses Spiel nicht, verhielt sich ungeschickt und wurde bald von Angela Merkel fallengelassen. Sie machte Kirchhof nicht zum Finanzminister, sie hielt ihn sich vom Leib, als fürchte sie, seine Nähe könne sie vergiften.
    In einem Gespräch wenige Wochen nach dem Wahlkampf2005 wirkte Kirchhof noch immer leicht verstört von diesen Erfahrungen. Er hatte sich als Nichtpolitiker auf das Schlachtfeld der Politik begeben und kehrte als Invalide zurück: versehrt von den Beleidigungen, Fälschungen, Diffamierungen. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass Politik, gerade Bundespolitik, etwas ganz anderes ist als das Leben sonst. Es ist eine eigene Welt, ein eigener Planet mit so speziellen Lebensbedingungen, dass hier nur ein Experte erfolgreich sein kann: der Experte für Politik. Deshalb ist Kirchhof zu Recht nicht Finanzminister geworden. Er hätte vielleicht gute Steuerkonzepte entworfen und hervorragende Reden gehalten, aber er hätte nichts von seinen Ideen durchsetzen können, weil er das Machtspiel nicht beherrscht. Er ist kein bisschen wie Merkel, deshalb ist er in der Politik gescheitert.
    Die zweite Alternative zum klassischen Politiker, der Manager, hat sich in Merkels erster Legislaturperiode als Kanzlerin selbst erledigt, ganz ohne Zutun der Politik. Dieser Traum ist in den achtziger und neunziger Jahren groß geworden, als sich der Manager zum Leitbild der Gesellschaft entwickelt hat. Die ökonomische Idee, die Idee von der totalen Effizienz, wanderte damals von den Unternehmen in die Gesellschaft insgesamt. Sie ging einher mit einer neuen Staatsverachtung, der Staat galt als fett, behäbig, inkompetent. Der Beamte wurde zur Hassfigur, der Politiker zum Verdrussobjekt. Es wurde ein schlanker Staat gefordert nach dem Vorbild der angeblich schlanken, effizienten Unternehmen. Und da schon die ökonomische Idee Leitidee war, lag der Gedanke nahe, dass dieHelden der Ökonomie, die Manager, auch den Staat führen sollten.
    Am nächsten kam man dieser Vorstellung in den Jahren 2002 bis 2005, als Deutschland in einer wirtschaftlichen Krise steckte und die Zahl der Arbeitslosen auf 5,2 Millionen stieg. Damals stand in Frage, ob die Regierung Schröder imstande sein würde, das Land aus dieser Krise zu führen. Es bildete sich eine Art Nebenregierung, die aus den Talkshows und den Printzeilen in die politische Debatte hineinbrüllte. Kanzler dieser
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