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Anemonen im Wind - Roman

Anemonen im Wind - Roman

Titel: Anemonen im Wind - Roman
Autoren: Tamara McKinley
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trotz des warmen Windes. Noch nie hatte sie sich so allein gefühlt, so klein und unbedeutend. Sie kroch dichter an die Seite ihres Vaters. Ihr Blick wanderte über den scheinbar endlosen Horizont und suchte nach irgendeiner vertrauten Wegmarke, während die Sonne auf ihren entblößten Kopf brannte, und schließlich entdeckte sie in weiter Ferne violette Schemen, die vermutlich die Berge von Cloncurry waren.
    Schließlich raffte sie sich auf und schaute ihren Vater an, und sie schauderte. Schon schwärmten Fliegen um seinen Kopf,wimmelten um die Wunde und krochen um seine Augen und seinen Mund. Sie erkannte, dass sie den Mut finden musste, ihn zu begraben. Denn der Tod lockte die Aasfresser an; das hatte sie auf den Landstraßen gesehen, auch wenn ihr Vater sich bemüht hatte, sie vor dem Grauen zu bewahren. Sie dachte an diese Lumpenbündel, die einmal Männer gewesen waren, deren Suche nach etwas Besserem zu einem unheilvollen Ende geführt hatte. Sauber abgenagt von Krähen und Dingos, vergessen und unbetrauert lagen sie da. Das hatte Dad nicht verdient.
    Ellie schloss die Augen. »Leb wohl, Dad«, wisperte sie. Sie erhob sich, zog den Hut hervor, den sie in die Tasche ihres Overalls gestopft hatte, und holte tief Luft. Selbstmitleid würde nicht helfen. Sie musste sich ihren Verstand bewahren, wenn sie überleben wollte.
    Schatten glitten über die Erde, und sie schaute hoch. Oben kreiste ein Schwarm Krähen dunkel vor dem Mittagshimmel. »Verschwindet!«, schrie sie und wedelte mit dem Hut. »Weg, ihr Mistviecher! Ihr kriegt ihn nicht.«
    Sie sah sich um. Panische Hilflosigkeit machte sich in ihr breit. Die Pferde waren weg und mit ihnen das Gepäck mit der Ausrüstung. Sie hatte nichts, womit sie graben, und nichts, womit sie die Vögel verscheuchen konnte. In jähem Zorn stieß sie sämtliche Schimpfwörter hervor, die sie je gehört hatte, und dann packte sie einen scharfkantigen Stein und fing an, die Erde rund um ihren toten Vater aufzuscharren. Es war harte Arbeit, und sie verfluchte alles um sich herum. Die Sonne brannte vom Himmel, die Krähen versammelten sich, und das Loch wurde und wurde nicht größer.
    Die Hitze war unerbittlich; der Schweiß verdunstete auf Ellies Haut, und ihr Durst wurde immer schlimmer, während sie an der letzten Ruhestätte ihres Vaters arbeitete. Sie erinnerte sich an den Rat des schwarzen Viehtreibers und hob einen kleinen, glatten Kieselstein auf, den sie sich unter die Zunge legte. Siewusste nicht, ob das schreckliche Verlangen nach einem Schluck Wasser dadurch nachlassen würde, aber sie hatte keine andere Wahl, bis sie einen Bach oder einen Billabong finden würde. Dad musste begraben sein, bevor es Nacht wurde. Die Sonne stand jetzt weiter im Westen und bereitete sich auf ihre letzte Strahlenpracht vor, ehe sie hinter dem Horizont verschwand. Bis zur Dunkelheit blieben Ellie nur noch zwei Stunden.
    Schließlich machte sie eine Atempause. Die Grube war jetzt tief genug, aber Ellies Fingernägel waren abgebrochen, und hinter den Augen plagte sie ein pochender Schmerz. Sie kniete ein letztes Mal neben ihrem Vater nieder und faltete seine Hände auf der Brust. Mit traurigem Seufzen durchsuchte sie seine Taschen. Viel war nicht da; seine Uhr und seine Brieftasche aus Schlangenleder hatte er vor ein paar Monaten verkauft, damit sie etwas zu essen kaufen konnten. Aber der Rest ihres Lohns und zwei Fotos waren ihr geblieben.
    Ellie hockte sich auf die Fersen und betrachtete die zerknitterten und ziemlich verblichenen Aufnahmen von ihrer Mutter Alicia. Es überraschte sie, dass er sich die Mühe gemacht hatte, sie zu behalten, nachdem sie mit ihrem texanischen Ölmann durchgebrannt war und Mann und Tochter sich selbst überlassen hatte. Jetzt erkannte sie, dass Dad nie aufgehört hatte, Alicia zu lieben, und immer geglaubt hatte, sie liebte ihn und Ellie noch genug, um zu ihnen zurückzukehren.
    »O Dad«, seufzte sie. »Sie wäre nie zurückgekommen.« Sie steckte Fotos und Geld in die Tasche und unterdrückte die Tränen. Dad hatte es nie geschafft, in Mum das selbstsüchtige Biest zu sehen, das sie war. Aber ihr, Ellie, kam es nicht zu, über ihn zu urteilen, denn trotz der Reife, die sie auf den Straßen der Domain gewonnen hatte, war die Welt der Erwachsenen immer noch viel zu kompliziert für sie, um vollständig zu begreifen, was sich zwischen Männern und Frauen abspielte.
    Ellie begann die Erde zurück in die Grube zu schieben. Zuerst bedeckte sie seine Füße und dann
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