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Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Titel: Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
Autoren: Alexandra Marinina
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will, dass ich dieses Verbrechen verhindere. Ob mir die Sache nun schmeckt oder nicht. Wir beide, ich als Oberst und du als Majorin der Miliz, sind unauffällige Beamte, die im Stillen arbeiten, während die beiden Generäle fast den Status eines Imperators haben. Mit Sicherheit gehören sie zu einer der politischen Gruppierungen und haben schon deshalb Interesse an Sauljak. Hoffentlich spielen sie wenigstens in einer Mannschaft und nicht in zwei verschiedenen, sonst bekommen wir auch mit den beiden noch Ärger. Meine Frage an dich ist: Hast du eine Idee, was man tun könnte, um Pawel Dmitrijewitsch Sauljak unversehrt aus Samara in die Hauptstadt unseres geliebten Vaterlandes zu bringen?«
    »Ja, ich habe eine Idee«, sagte Nastja. »Ich weiß, was wir tun müssen. Nur über das Wie bin ich mir noch nicht im Klaren.«
    * * *
    Er war geduldig und verhielt sich still wie eine Schildkröte im Winterschlaf. Bis zu seiner Entlassung aus der Haft blieben noch sechs Tage, und er konnte sich nicht darüber klar werden, ob das gut oder schlecht war. Seit seinem ersten Tag im Straflager las er regelmäßig Zeitung und versuchte zu verstehen, ob die Gefahr vorüber war, doch bis jetzt war es ihm nicht gelungen. Mal schien ihm, dass ihm nichts Böses zustoßen würde, dass er das Lager ruhig verlassen konnte, dann wieder las er von innenpolitischen Vorgängen, die eher bedrohlich klangen, und er war froh, dass er sich in seinem Versteck befand. Er hatte sich niemals etwas zuschulden kommen lassen, keinen einzigen Verstoß gegen die Lagerordnung, er hatte das Arbeitssoll in der Nähwerkstatt immer übererfüllt, sodass er jederzeit einen Antrag auf bedingte Strafaussetzung oder vorzeitige Entlassung hätte stellen können. Es lagen keine Gründe für die Ablehnung des Antrags vor, das Gericht hätte ihm mit Sicherheit stattgegeben. Doch Pawel Sauljak hatte sich nie zu diesem Schritt entschließen können. Er hatte immer daran gezweifelt, ob er draußen, in der Freiheit, auch in Sicherheit sein würde. Was erwartete ihn nun in sechs Tagen? Sollte er vielleicht, solange es noch nicht zu spät war, irgendein Ding drehen, das ihm eine zusätzliche Haftfrist einbringen würde? Oder sollte er es doch riskieren, das Lager zu verlassen?
    Sauljak hatte feste Prinzipien in Bezug auf seine Verhaltensweisen. Eine seiner persönlichen Regeln lautete, frühere Aktivitäten niemals zu wiederholen, wenn die Gefahr bestand, dass er sich dadurch verriet. Vor zwei Jahren hatte er mit voller Absicht eine kriminelle Handlung begangen und war dadurch genau an den Ort geraten, an dem er sich jetzt befand und in Sicherheit war. Wenn es wirklich Leute gab, die ihn beobachteten und auf seine Entlassung warteten, würde ihnen sofort klar werden, dass er Angst vor ihnen hatte, wenn er ein paar Tage vor seiner Entlassung dafür sorgen würde, dass er weiterhin im Lager bleiben konnte. Ein billiger, allgemein bekannter Trick. Bis jetzt konnte er so tun, als hätte er vor zwei Jahren tatsächlich einfach nur im Suff etwas angestellt, das konnte jedem mal passieren; er konnte so tun, als wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass jemand hinter ihm her sein, dass er für jemanden von Interesse sein könnte. Aber würde er ihnen zeigen, dass er Angst vor ihnen hatte, käme das einem Eingeständnis gleich: Ja, ich weiß eine Menge, ich weiß Dinge, die euch die Haare zu Berge stehen lassen würden vor Entsetzen. Und das wäre sein Ende. Sie würden ihn an jedem Ort aufspüren, in jedem noch so entfernten Lager, sie würden keine Mühe und keine Ausgaben scheuen, um ihn in ihre Gewalt zu bringen.
    Pawel drehte sich auf seiner Pritsche um und spürte einen ziehenden Schmerz in der Seite. Seine Gallenblasenentzündung machte sich wieder einmal bemerkbar. Er richtete sich auf und stellte die Füße auf den Boden. In der Baracke war es totenstill, alle schienen zu schlafen, aber Sauljak wusste, dass in dieser trügerischen Stille alles Mögliche vor sich ging.
    Er zog seine Stiefel an und ging durch den Gang zwischen den Pritschen in Richtung Tür. Er machte keinen Lärm, bemühte sich aber auch nicht, besonders leise zu sein. Sein Gang war geschmeidig, fast lautlos.
    Pawel ging leise durch den Korridor zum Waschraum. Er knipste das Licht an, drehte den Wasserhahn auf und warf sich ein paar Hände von dem eisigen Wasser ins Gesicht. Dann hob er den Kopf und betrachtete sein Spiegelbild in dem trüben, rissigen Spiegel. Er hatte sich in den zwei Jahren im Lager fast nicht
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