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Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Titel: Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
Autoren: Alexandra Marinina
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Sekunde entspannt hatte.
    * * *
    Noch während seiner Besprechung begann Alexander Semjonowitsch Konowalow zu überlegen, wie er der Bitte seines Freundes am besten nachkommen konnte, ohne seinen Mitarbeitern allzu viel zusätzliche Arbeit aufzubürden. Seine Stellung erlaubte es ihm durchaus, Informationen über den Häftling Sauljak einzuholen. Und wenn Minajew die Wahrheit gesagt hatte und Sauljak tatsächlich einst Bulatnikows Informant gewesen war, würde es tatsächlich eine Menge Leute geben, die daran interessiert waren, ihn sofort nach seiner Freilassung aus dem Lager zu kassieren. Wladimir Wassiljewitsch Bulatnikow war ein sehr einflussreicher Mann gewesen, der aber persönlich kaum je in Erscheinung getreten war. Es gab nur sehr wenige, die wussten, dass er es war, der in der Zeit von August 1991 bis Oktober 1993 als Drahtzieher hinter fast allen Personalschiebereien in höchsten Regierungskreisen stand, hinter allen skandalträchtigen Entlarvungen, hinter allen mehr oder weniger wichtigen Ereignissen dieser Zeit. Niemand begriff, warum das so war, niemand kannte die Mechanismen, die dieser Mann in Gang setzte. Es gab nur einen kleinen Kreis von Leuten, die wussten, dass man mit Hilfe von Bulatnikow so gut wie alles erreichen konnte.
    So jedenfalls hatte Anton Minajew die Dinge dargestellt. Ob es wirklich so war oder nicht, stand auf einem anderen Blatt. Alexander Semjonowitsch ging es bei weitem nicht nur darum, seinem Freund zu helfen. Er arbeitete schon so lange im Ministerium für Inneres, dass er sich daran gewöhnt hatte, in erster Linie an die Sache zu denken, in zweiter Linie an die Interessen seiner Dienststelle und an seine eigenen. Freundschaften kamen erst an dritter oder gar vierter Stelle für ihn. Aber wenn Anton nicht übertrieb, konnte es tatsächlich sehr gut sein, dass man diesen Sauljak entführen oder sofort umbringen würde, sobald er seinen Fuß über die Schwelle der Strafkolonie gesetzt hatte. Wobei es letztlich gar nicht darauf ankam, ob man ihn wirklich umbrachte oder nicht. Sauljak war keine öffentliche Person, kein Abgeordneter, kein bekannter Künstler, kein Journalist, der mit seinen Entlarvungen Aufsehen erregt hatte. Den Mord an Sauljak würde man wahrscheinlich gar nicht bemerken. Aber was würde geschehen, wenn man ihn entführen sollte? Niemandem war bekannt, wie viel dieser Sauljak wusste. Die zwei Jahre im Straflager hatte er wahrscheinlich verbracht wie die Maus hinter dem Ofen, ohne sich zu mucksen. Offenbar hatte er auch nicht versucht, sich mit seinem unseligen Wissen die Freiheit zu erkaufen. Deshalb würde er auf der anderen Seite des Lagertores wahrscheinlich auch nicht freiwillig zu plaudern anfangen. Warum auch immer er schwieg, er musste seine Gründe dafür haben, und das war gut so. Deshalb konnten die, die an seinem Wissen interessiert waren, ihn nur entführen, um ihn zum Sprechen zu bringen. Die Folgen, die sein Sprechen haben konnte, lagen auf der Hand, denn gerade jetzt begann der Wahlkampf. Der Präsident hatte angekündigt, dass er bis spätestens 15. Februar bekannt geben würde, ob er sich zum zweiten Mal für dieses Amt bewerben wollte. Bis zum 15. Februar war noch Zeit, um womöglich auf seine Entscheidung einzuwirken. Hatten sich vielleicht Leute gefunden, die vorhatten, den ehemaligen Informanten als Schachfigur in ihrem Machtspiel zu benutzen?
    Die Besprechung endete gegen fünf Uhr, um halb sieben ging an die Lagerverwaltung von Samara ein chiffriertes Telegramm ab.
    General Konowalow beschloss, die Antwort abzuwarten und erst dann Weiteres zu unternehmen.
    * * *
    Die Antwort auf das Telegramm kam nach drei Tagen und machte Alexander Semjonowitsch keine große Freude. Glatte, vorgefertigte bürokratische Formeln, denen man nichts entnehmen konnte.
    »In der Zeit seiner Strafverbüßung zeigte Sauljak, Pawel Dmitrijewitsch, geboren 1951, im März 1994 nach Paragraph 206, Ziffer 3 des Strafgesetzbuches zu zwei Jahren Freiheitsentzug mit Unterbringung in einer Strafkolonie mit allgemeiner Anstaltsordnung, keinerlei Auffälligkeiten in seinem Verhalten. Er pflegte keinen Umgang mit subversiven Elementen, arbeitete aber auch nicht mit der Lagerverwaltung zusammen. Er ging gewissenhaft seiner Arbeit in der Nähwerkstatt nach, hielt sich stets an die Lagerordnung, bekam während seiner gesamten Haftzeit niemals Briefe, Pakete oder Besuch. Er stellte niemals einen Antrag auf bedingte Strafaussetzung, aber dafür lagen auch keine besonderen Gründe
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