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Amras

Titel: Amras
Autoren: Thomas Bernhard
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auch wir, Eltern, Söhne, rasch, mühelos, im Schlaf einfach untergingen und auslöschten, weg seien … Wir baten, bei überklarem Bewußtsein, nicht ohne Wörter, um eine ungewöhnliche Schnelligkeit unseres Einschlafens … von den Tabletten in unseren Gläsern erbaten wir sie … wir schauten nur noch die Gläser an, das trübe, weiße Getränk … wir wollten nicht mehr, nicht mehr sein, nichts mehr sein … Hinter geschlossenen Fenstern, zugezogenen Vorhängen waren wir, gänzlich vereinzelt und eng beisammen, schon fertig gewesen; ab und zu war uns noch ein Geräusch von der Straße herauf, ein Fuhrwerkgeräusch, ein Lachen, fernes Getöse von Büchsenhausen herüber, Mittel zur Welt gewesen … eine Tür, ein Fenster, ein Sessel … Wir hatten nichts mehr gegessen, nichts mehr getrunken … plötzlich, wie wir glaubten zum letzten Male, Gefallen an unseren Kleidern gefunden, an unseren Händen, Stimmen, Einfällen … am süßen Geruch unserer Speisekammer, die offen, aber von keinem von uns mehr betreten worden war … drei, vier, fünf Bücher hatte mein Bruder vor sich auf dem Tisch liegen gehabt … Stifter, Jean Paul, Lermontow … die von mir einmal rasch zurückgezogenen Vorhänge hatten meinen am Fenster sitzenden, mit seinen Büchern beschäftigten, wie studierenden Walter erschrocken zu mir aufschauen lassen, während ich auf der durch die Berge schon beinahe völlig verfinsterten Straße ein paar Menschen beobachtete, die ins Theater gingen … Ich beobachtete zwei Geschwistermädchen, ein Brüderpaar, zwei Professoren in schwarzen Mänteln, an ihre Stöcke gewöhnt, mit grauen, schwarzbebänderten Hüten; im Abstand von drei, vier Metern die Frauen der Professoren,auch schwarz gekleidet … diese Leute haben, wie andere ihr Mittwoch- oder ihr Samstag-, ihr Komödien- oder Tragödienabonnement, ihr Dienstagabonnement … Ich beobachtete den Zeitungsmann, unseren Nachbarn, in einer alten, in militärischem Schnitt gehaltenen Pelerine, ein Fleischhauermädchen mit einem Wurstkorb und einen Unbekannten … Traurig war, was ich sah, traurig war, was ich dachte, traurig zog ich den Vorhang zu, in der Trauer, die vom Verstand gelenkt ist … Zwischen den gegenüberliegenden Häusern hindurch hatte ich noch auf den Inn geschaut, auf das fließende, sich dauernd verändernde, doch immer gleiche Gewässer … Der Inn, die Ader, an welcher es sich ein paar flüchtige Generationen lang unter unserem Namen fürchterlich partizipierte, geheimnisvoll vorlaut … Mich umdrehend war ich dann vor der gespenstischen familiären Abbreviatur erschrocken gewesen: in Beobachtung von uns selbst waren wir, unsere Eltern und ihre Söhne, in unserem vorsorglich von den Fremden, Hausangestellten, Dienstboten, wie uns schien gesäuberten Haus, nachdem wir auch noch den Hofburschen weggeschickt hatten, aus dem Käfig hinausgelassen … nur noch einer wortlos die Abfahrtszeit eines schon längst bestiegenen Zuges abwartenden Reisegesellschaft vergleichbar gewesen … Unsere Mutter hatte, nach Wochen zum ersten Mal wieder, ihr Bett verlassen und sich zum Ofen gesetzt … als ein schweigsames Denkmal tirolischer Lebensmüdigkeit sah ich sie … In ihrem längst aus der Mode gekommenen grauen Chiffonkleid, das, wie alle Kleider von ihr, ihrer mageren Arme wegen Ärmel bis über ihre Handrücken hatte, war sie mir Ausdruck der Melancholie eines alten, von Krankheit vergrämten Geschlechts, die stille Verheimlichung einer Hölle gewesen … Wir hatten uns gegenseitig die besseren Plätze angeboten … unser Vater hatte scheinbar im Inseratenteil unserer Zeitung gelesen … mein Bruder sich von Zeit zu Zeit in die Schriften von Sterne und von Dante und Donne, die er sich zuletzt noch ausgesucht hatte,vertieft … in den Diderot … Wir erwarteten niemand, läutet es, hatten wir ausgemacht, wird nicht mehr aufgemacht … Kein Mensch fiel uns ein, der hätte kommen können … Der Abend stürzte, wie wir es immer gewohnt waren, ein riesiger toter Raubvogel, in die Straße … wir hatten dann noch die Kirchenglocken so deutlich gehört, daß wir die Herkunft der einzelnen Klänge, von Wilten, Pradl, Hötting und Amras herunter, gut unterscheiden konnten … Merkwürdig: die Leute gingen an diesem Abend in das Theater … Jeder mit, wie uns schien, genügend Tabletten in seinem Glas ausgerüstet, zogen wir uns in die Zimmer und also, wie verabredet, voreinander zurück … unseren Vater hörte ich noch aus dem Schlafzimmer lachen, Walter
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