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.Am Vorabend der Ewigkeit

.Am Vorabend der Ewigkeit

Titel: .Am Vorabend der Ewigkeit
Autoren: .Brian W. Aldiss
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Himmel auf sie herab, aber es verfehlte sein Ziel und endete in den Dornen der Pfeifdistel.
    Lily-Yo nahm ihr Messer und schnitt die Linse an einer Seite ein. Nur mit Mühe ließ sie sich aufklappen, aber der Spalt war groß genug, um Clats Seele aufzunehmen. Sofort schloß sie sich wieder. Die Holzpuppe ruhte nun in einem gläsernen, luftdichten Sarg.
    »Möge sie den Himmel erreichen«, sagte Lily-Yo, nahm die Linse und brachte sie zu einem der Traverserfäden, die bis in die Unendlichkeit hinauf reichten. An der Samenseite der Linse war klebriger Leim ausgetreten. Damit haftete Lily-Yo sie an das Tau. Das nächste Mal, wenn ein Traverser hochkroch, bestand die Möglichkeit, daß er die Linse mitnahm. Sie würde wie eine Klette an ihm hängenbleiben.
    Sie waren gerade fertig, als sich ein Schatten auf sie herabsenkte.
    Erschrocken sahen sie hoch. Ein Traverser kam zum Wipfel herabgeschwebt. Er war eine Pflanze, die die längst ausgestorbenen Spinnen abgelöst hatte.
    Die Frauen zogen sich hastig zurück und begannen ihren Abstieg. Sie hatten ihre Pflicht der toten Clat gegenüber erfüllt, und es wurde Zeit, wieder zur Gruppe zurückzukehren. Lily-Yo sah noch einmal über die Schulter zurück. Langsam ließ sich der Traverser an einem armdicken Faden herab, dessen oberes Ende nicht zu erkennen war. Er erinnerte an ein großes Blatt mit haarigen Beinen. Der Körper war ebenfalls mit Haaren bedeckt, trotzdem erschien er Lily-Yo wie ein wunderbarer und schöner Gott.
    Viele Taue strebten von der Wipfelzone hinauf in den Himmel. An manchen Stellen glänzten sie im Sonnenschein. Wenn man die allgemeine Richtung verfolgte, so ließ sich feststellen, daß alle Fäden dasselbe Ziel hatten – eine silbern schimmernde Halbkugel kalt und fern, aber im ewigen Schein der Sonne gut sichtbar.
    Unbeweglich stand auch der Mond immer an derselben Stelle des Himmels. Im Verlauf der Jahrtausende und Jahrmillionen hatte seine Anziehungskraft die Rotation der Erde verlangsamt und schließlich zum Stillstand gebracht. Der gegenseitige Bremseffekt hatte aber auch bewirkt, daß die Bahn des Mondes sich veränderte. In viel größerer Entfernung von der Erde als sonst nahm er eine »Trojanische Position« ein und wurde so zu einem selbständigen Planeten. Sonne, Mond und Erde bildeten ein Dreieck gleichseitig und stabil, und unveränderlich in seiner Stellung. Für den Rest des Nachmittags dieser Ewigkeit würden sich die drei Himmelskörper immer dieselbe Seite zukehren, und dieser Zustand hielt so lange an, bis das Ende der Zeiten kam oder die Sonne erlosch.
    Tausende und aber Tausende von Kabeln verbanden die Erde mit dem Mond. Die Traverser wanderten an ihnen hin und her, vegetabile Astronauten, groß und unempfindlich gegen die lebensfeindliche Umwelt.

3
     
    Lily-Yo und Flor legten den Weg zur Gruppe in den mittleren Baumschichten ohne Zwischenfälle zurück. Sie ließen sich Zeit, denn vor ihnen lag kein erfreuliches Ereignis. Die Gruppe wurde aufgelöst. Warum viel Worte machen? In dieser Welt wurde nicht mehr viel gedacht und noch weniger gesprochen.
    »Bald werden wir Clats Seele folgen müssen«, sagte Lily-Yo.
    »Es ist unsere Bestimmung«, gab Flor zurück. Das war alles, was sie dazu zu sagen hatte. Mehr wußte auch keiner von ihnen.
    Sie wurden von der Gruppe bei ihrer Rückkehr ohne Begeisterung begrüßt. Lily-Yo nickte ihnen nur zu und verschwand in ihrer Hausnuß. Ein wenig später kamen Jury und Ivin, um ihr etwas zum Essen zu bringen. Sie setzten keinen Fuß in die Hütte; das war verboten. Nachdem Lily-Yo gegessen und ein wenig geschlafen hatte, kletterte sie auf den Hauptast und rief die anderen zusammen.
    »Beeil dich, Haris«, befahl sie dem Mann und fragte sich verwundert, warum er nur so langsam und unbeholfen war. Ein Mann war wertvoll, aber er benahm sich nicht danach.
    In diesem Augenblick hatte ihre Aufmerksamkeit nachgelassen, und so konnte es geschehen, daß eine grüne, dicke Zunge aus dem Dickicht hervorschoß und sie umschlang. Ihre Arme wurden fest gegen ihren Körper gepreßt. Hilflos strampelte sie mit den Beinen und schrie um Hilfe.
    Haris riß sein Messer aus der Scheide und rannte auf sie zu. Er stieß mehrmals in die Zunge und zerfetzte sie an verschiedenen Stellen. Der Schmerz veranlaßte die mörderische Pflanze, ihren Griff um Lily-Yo zu lockern.
    Die Frau rutschte aus der Umklammerung und hielt sich an einem Blatt fest. Sie pfiff einem Taumler, der sie sicher auf den Hauptast
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