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.Am Vorabend der Ewigkeit

.Am Vorabend der Ewigkeit

Titel: .Am Vorabend der Ewigkeit
Autoren: .Brian W. Aldiss
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und ein Mann waren der grünen Hölle zum Opfer gefallen. Insgesamt hatten die acht Frauen zweiundzwanzig Kindern das Leben geschenkt, fünf davon Knaben. Mehr als die Hälfte der Kinder war nun tot. Lily-Yo war die Führerin der Gruppe; sie machte sich für die ungewöhnlich hohe Sterblichkeitsziffer verantwortlich. Sie kannte die Todfeinde und hätte vorsichtiger sein müssen. Nur drei der verbliebenen Kinder waren Knaben. Gren, Poas und Veggy. Und Gren, das spürte sie, war dazu geboren worden, Unheil zu stiften.
    Lily-Yo wanderte über den Ast zurück. Achtlos hob sich der Taumler von ihrer Schulter ab und schwebte davon. Am Seil ließ sie sich dann zu Clats Hütte hinab. Der Eingang war so klein, daß sie kaum eindringen konnte. Alle Menschen vergrößerten die Eingänge zu ihren Hütten entsprechend ihrem Wachstum. So verhinderten sie das Eindringen ungebetener Besucher.
    Im Innern der Hütte war es sauber. Aus dem weichen Kern der Nuß war ein Bett geschnitzt worden. Darin hatte das Kind geschlafen, wenn es müde geworden war. Auf dem Kissen lag Clats Seele. Lily-Yo nahm sie und schob sie hinter ihren Gürtel.
    Als sie wieder auf dem Ast stand, zog sie ihr Messer und schnitt das Seil durch, an dem die Hütte hing. Sie stürzte hinab in das grüne Labyrinth und wirbelte die Blätter durcheinander. Irgend etwas schoß vor und kämpfte um das Privileg, den großen Leckerbissen verspeisen zu dürfen.
    Lily-Yo atmete schwer. Sie hatte schon zu viele Jagden mitgemacht, zu viele Kinder geboren, zu viele Kämpfe ausgefochten. Sie sah auf ihre grünen Brüste hinab. Sie waren kleiner und straffer gewesen, als sie den Mann Haris zum erstenmal in ihre Hütte geholt hatte. Jetzt hingen sie schlaff herab und waren nicht mehr schön. Sie wußte instinktiv, daß ihre Jugendzeit vorüber war. Genauso instinktiv wußte sie, daß bald die Zeit kam, da sie »nach oben« gehen mußte.
    Die Gruppe stand am Ufer des Teiches und erwartete sie. Die Aushöhlung sah aus wie eine umgekehrte Achselhöhle und wurde durch eine Astgabelung gebildet. Darin hatte sich Wasser angesammelt.
    Sie standen da und beobachteten einen Zug mächtiger Termiten, die am Stamm hochkrochen. Ab und zu signalisierte eins der Tiere mit den Fühlern zu ihnen herüber. Die Menschen winkten zurück. Wenn sie in dieser Hölle Verbündete besagen, dann waren es die Termiten. Überhaupt gab es nur fünf überlebende Familien im Reich der alles überwuchernden Pflanzenwelt. Die Tigerfliegen, die Baumbienen, die Pflanzenameisen und die Termiten. Die fünfte Familie waren die Menschen, leicht verwundbar und schnell zu töten, nicht so gut organisiert wie die Insekten. Außer den Pflanzen gab es sonst keine Lebewesen mehr auf dieser Welt.
     
    Lily-Yo erreichte die Gruppe. Wie die anderen schaute sie den Termiten nach, die weiter oben in den grünen Schichten verschwanden. Überall konnten die Termiten leben – oben im Gipfel und unten auf dem Grund. Sie waren die ersten und auch die letzten Insekten; solange überhaupt etwas lebte, würden Termiten und Tigerfliegen auch leben.
    Lily-Yo lenkte die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich und zog Clats Seele aus dem Gürtel.
    »Clat ist tot. Ihre Seele muß hinauf zum Gipfel, wie es Sitte ist. Flor und ich werden sie hochbringen, weil wir jetzt mit den Termiten gehen können. Daphe, Hy, Ivin, Jury – ihr wacht inzwischen über den Mann Haris und die Kinder, bis wir zurückkehren.«
    Schweigend nickten die Frauen. Sie kamen herbei und berührten noch einmal Clats Seele.
    Die Seele war ein roh geschnitztes Stück Holz mit den Formen einer Frau. Immer wenn ein Kind geboren wurde, mußte ihm der Vater eine solche Totem-Seele schnitzen. Wer in die grüne Tiefe stürzte, dessen Gebeine konnten niemals bestattet werden. Die Seele aber war immer da.
    Noch während sie Clats Seele berührten, löste Gren sich unbemerkt aus dem Kreis. Er war fast so alt wie Toy und genauso klug und tapfer. Er war stark, konnte schnell laufen und auch gut klettern. Er war des Schwimmens kundig und hatte einen eigenen Willen. Hinter ihm stieß sein Freund Veggy einen Warnungsruf aus, aber er hörte nicht hin, sondern sprang in den Teich der Astgabel.
    Unter der Oberfläche öffnete er die Augen. Alles war seltsam verschwommen. Grünes Zeug, das an Kleeblätter erinnerte, reckte sich ihm entgegen und wollte sich um seine Knöchel schlingen. Er stieß es einfach beiseite. Mit einer Handbewegung tauchte er tiefer. Dann sah er den Wassermörder – bevor
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