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Am Strand des Todes

Am Strand des Todes

Titel: Am Strand des Todes
Autoren: John Saul
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an. Grotesk verzerrte Mienen und vor Angst
weit aufgerissene Augen.
Seine Großeltern.
Der Junge stand wie erstarrt, während ihm die Gedanken
durch den Kopf schossen.
Er konnte ihren Gesichtern ansehen, wie sie gestorben sein
mußten. Das hilflose Warten, während die Flut unerbittlich
immer höher stieg. Dann erreichten erste Ausläufer ihre
Gesichter, zogen sich wieder zurück und begannen einen neuen
Angriff. Es mußte ein langsamer, schrecklicher Tod gewesen
sein. Sie hatten gewürgt und gekeucht, versucht den Atem
anzuhalten und das Salzwasser auszuspucken, gefleht und
geschrien – und keiner hatte sie durch Wind und Regen
hindurch gehört.
Der Junge beugte sich noch einmal über die Augen des
Großvaters und dann der Großmutter. Als er schmerzerfüllt in
das fein geschnittene, dunkle Gesicht der alten Dame starrte,
meinte er ihre Stimme zu hören.
Leise zuerst, dann lauter.
»Weine…«, klagte die Stimme, »weine für sie… und für
mich.«
Es war die Stimme seiner Großmutter, aber sie war tot. Der
Junge schluchzte auf und wandte sich ab.
Aber er vergaß nie.

BUCH I
Clark’s Harbor
1
    Pete Shelling starrte auf die See hinaus; er las die Wellen wie
eine Karte. Weit im Süden bewegte sich die übrige Flotte
langsam auf den Hafen zu, ihre Fahrtlichter blinzelten
freundlich durch die Nacht herüber. Pete war kurz versucht,
sich ihnen anzuschließen. Doch er schüttelte den Gedanken
sofort wieder ab.
    Es war noch nie seine Art gewesen, mit der Flotte zu fahren;
warum also heute?
Der Wind frischte auf, und Pete ging nach achtern, um die
Netze einzuholen. Selbst mit der elektrischen Winde war das
Knochenarbeit. Die Anstrengung verzerrte sein Gesicht, wieder
einmal wünschte er, einen Helfer zu haben. Er wurde einfach
zu alt, die Jahre begannen ihren Tribut zu fordern.
Die Netze kamen quälend langsam herein, und er ließ die
zappelnde Beute in den Laderaum fallen, wobei er das Netz
sauber faltete, um es erneut ausbringen zu können. Als der
Fang sicher im Bauch des Bootes verstaut war, befand sich
Pete Shelling allein auf dem Meer.
Die Flotte war verschwunden.
Wieder dachte er kurz daran, ebenfalls den Hafen
anzulaufen. Sein Blick schweifte prüfend über die See,
während er an all die Geschichten dachte, die man sich über
diese Ecke des Pazifik erzählte – die plötzlichen Stürme, die
diesen Teil der Küste des Staates Washington heimsuchten,
Stürme, die aus dem Nichts zu kommen schienen und das Meer
in einen Hexenkessel verwandelten, in dem ein Boot von der
Größe der »Sea Spray« wie ein Kreisel über die Wellen
getrieben wurde. Aber er hatte noch nie einen dieser Stürme
erlebt
– sie schienen der Vergangenheit anzugehören,
wahrscheinlich waren diese Erzählungen übertrieben,
Legenden, die mehr der lebhaften Einbildungskraft der
hiesigen Fischer als wirklichen Naturereignissen zuzuschreiben
waren.
Pete Shellings Augen schweiften über den Horizont, und
seine Entscheidung stand fest. Er würde die Netze noch einmal
auswerfen, bevor er zurückfuhr. Die Flut würde dann ihren
Höchststand erreicht haben, und er mußte auf dem Weg in den
Hafen gegen die einsetzende Ebbe ankämpfen. Aber das ging
in Ordnung. Pete Shelling war ans Kämpfen gewöhnt.
Nicht daß er es darauf abgesehen gehabt hätte. Als er sich
vor Jahren entschloß in Clark’s Harbor vor Anker zu gehen,
wollte er es sich eigentlich gutgehen lassen. Er hatte vorgehabt,
sich den einheimischen Fischern anzuschließen und den Rest
seiner Jahre in angenehmer Gesellschaft zu verbringen.
Aber es war ganz anders gekommen.
Clark’s Harbor hatte ihn nicht willkommen geheißen, und er
hatte fünfzehn Jahre lang wie ein Fremder gelebt. Er war
Fischer geworden, aber kein Teil der Flotte. Nie erfuhr er, wo
die Schwärme standen, nie bezog man ihn in das Geplänkel in
der Harbor Inn ein. Die einheimischen Fischer tolerierten Pete
Shelling im besten Fall, und er lernte, damit zu leben. Aber es
hatte ihn hart gemacht, ebenso starrsinnig wie sie. Deshalb
blieb er draußen, wenn die Flotte heimfuhr und wartete auf den
letzten Fang, der ihnen, gleichgültig was sie sonst über ihn
denken mochten, bewies, daß er besser war als sie.
Er steuerte das Boot nordwärts und ließ die Netze langsam
wieder ins Wasser sinken. Der Trawler beschrieb dabei einen
weiten Bogen, so daß die Strömung eine besonders reiche
Ernte in die Maschen treiben konnte. Als die Netze draußen
waren, ließ er den Anker fallen und zündete seine Pfeife an.
Ein, zwei
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