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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts
Autoren: Harry Kemelman
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«Unsere Stadt ist klein, Herr Pfarrer,
aber wir müssen ein großes Gebiet überwachen. Dafür haben wir nicht genügend
Leute; wir müssen versuchen, möglichst Bescheid zu wissen, ehe was passiert.
Die Betonung liegt auf ‹Bescheid wissen› … Sie sind neu hier, nicht wahr?»
    «Ja, ich bin erst seit ein paar Monaten …»
    «Und Sie kommen wohl aus einer Großstadt?»
    Dodge nickte. «South Bend.»
    «Aus dem Mittelwesten, aha. Ich dachte es mir. Man hört’s an
der Aussprache … Sehen Sie, Stadtleute merken meistens erst, dass es eine
Polizei gibt, wenn sie sie brauchen. Die Polizei ist etwas, das einfach immer
zu funktionieren hat – wie das Wasserwerk oder die Stromversorgung. Aber an
kleinen Orten wie hier sind Polizisten noch Nachbarn und Freunde; man kommt mit
ihnen zusammen wie mit anderen Bekannten. Unsere Aufgabe ist es, alles zu
wissen. Wenn nachts ein Fremder durch die Straßen geht, wird ihn der Streifenpolizist
vermutlich ansprechen …» Er schaute den jungen Pfarrer belustigt an: «Hat Sie
noch nie ein Polizist angesprochen?»
    «Doch – kurz nachdem ich hergezogen bin. Aber er fragte nur,
ob er mir behilflich sein könne. Wahrscheinlich dachte er, ich suche eine
Straße.»
    «Worauf Sie ihm erklärten, dass Sie immer nach dem Abendessen
einen Spaziergang machten?»
    «Oh …»
    «Sehen Sie, so einfach ist das. Sie marschieren jeden Abend
von Mrs. Oliphant, bei der Sie logieren, durch die Oak Street bis hinter
Colonial Village, biegen dann in die Main Street in Richtung Salem ein und
gehen dann am Wasser entlang nach Hause.»
    «So macht ihr das also?»
    «Ja, so machen wir das.»
    «Und wenn ich statt dieser Kleider einen … gewöhnlichen Anzug
anhätte?»
    «Dann wäre der Beamte genauso höflich gewesen, nur hätte er
ihnen mehr Fragen gestellt. Und wenn Sie ihm gesagt hätten, dass Sie zur
Bushaltestelle wollen, hätte er Ihnen wahrscheinlich angeboten, auf den
Streifenwagen zu warten, damit er Sie dort absetzt.»
    «Ach so.»
    «Ja, also … Ich nehme an, dass Sie so gegen halb neun bei Bill
vorbeikamen. Die Jungen standen rum und schimpften. Sie fragten …»
    «Einer von ihnen ist in unserer Kirche. Er sagte – und die anderen
bestätigten es –, dass sie von den beiden Beamten angebrüllt und unnötig grob
behandelt worden seien. Zwei Negerjungen waren auch dabei; auf sie hatten es
Ihre Leute besonders abgesehen.»
    «Sie beschweren sich also darüber, dass meine Leute
ungebührlich grob waren. Haben sie zugeschlagen? Haben sie ihre Knüppel
benutzt?»
    «Ich möchte vorerst klarstellen, dass man die Polizei gar nicht
gerufen hat. Der Streifenwagen fuhr rein zufällig vorüber.»
    «Wir schauen jeden Abend ein paarmal bei Bill herein.»
    «Also es war auch Ihrer Ansicht nach an jenem Abend dort
nichts Besonderes los?»
    «Ganz recht.»
    «Ich finde es höchst bedenklich, dass die Negerjungen schlecht
behandelt wurden. Wir sind doch nicht in Alabama.»
    «Ach so … Sie gehören wohl der Bürgerrechtsbewegung an?»
    «Jawohl.»
    «Na gut. Und was ist diesen farbigen Jungen passiert, dass Sie
sich so empören?»
    «Einmal protestiere ich dagegen, dass sie strenger
angefasst wurden als die anderen, Und dann, sie wurden herumgestoßen; einer von
ihnen fiel sogar hin … ihre Leute sind zu weit gegangen. Ich glaube nicht, dass
sie als Hüter der öffentlichen Ordnung …»
    «Das ist es ja gerade, Herr Pfarrer. Ich meine, dass sie Hüter
der öffentlichen Ordnung sind. Aber sie betrachten sich vor allem als die Hüter
der Ordnung in Barnard’s Crossing, und die beiden Burschen sind nicht aus
unserer Stadt.»
    «Woher wissen Sie das?»
    «Weil wir in Barnard’s Crossing keine farbigen Familien haben
… Und bevor Sie irgendwelche voreiligen Schlüsse ziehen: Es liegt nicht daran,
dass wir sie nicht wollen oder gar stillschweigend boykottieren. Es liegt an
den Bodenpreisen. Sie sind hier sehr hoch, und die meisten Neger können sich’s
einfach nicht leisten …»
    Er fragte sich, ob es überhaupt Sinn habe, diesem Ausländer
auseinander zu setzen, wie es in Barnard’s Crossing zuging «… Sie müssen die
Situation hier verstehen, Herr Pfarrer. Ed Loomis – ich vermute, er war es – und
ich, wir haben keinerlei Vorurteile gegen Schwarze. Oder gegen sonst jemand. So
sind wir nicht hier in Barnard’s Crossing; wenn Sie erst eine Zeit lang hier
gewohnt haben, werden Sie’s selbst merken … Die meisten Familien stammen
ursprünglich aus Salem; sie sind von dort weggezogen, weil sie
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