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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts
Autoren: Harry Kemelman
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werden Sie doch sicherlich auf die ganze
Lautsprecheranlage verzichten wollen … Wenn ich mich nicht täusche, ist es ein
elektrisches System, bei dem der Stromkreis durch die Schwingungen der Stimme
ständig geschlossen und wieder unterbrochen wird.»
    «Na und?»
    «Das ist doch dasselbe, als ob Sie das Licht anknipsen.»
    «So?» Der Kantor schien nicht ganz überzeugt.
    «Aus diesem Grund benutzen viele orthodoxe Gemeinden keinen
Lautsprecher für den Sabbatgottesdienst, geschweige denn am Jom Kippur ,
dem höchsten aller Feiertage.»
    «Ja, dann …» Der Kantor gab sich geschlagen.
    Rabbi Small kehrte lachend zum Tisch zurück. «Diese Kantoren
sind wie kleine Kinder. Vielleicht brauchen sie deshalb ihren Namen immer in
der Verkleinerungsform – Jossele, Mottele, Itzikel.»
    «Wenn ich dich jetzt Davidel rufe, bleibst du dann endlich beim
Tisch sitzen, bis du fertig gegessen hast?»
    Das Telefon läutete nicht mehr, und er konnte den Kaffee in
Ruhe trinken. Miriam räumte ab, spülte das Geschirr und zog sich an.
    «Macht es dir wirklich nichts aus, zu Fuß zur Synagoge zu gehen?»,
fragte er besorgt.
    «Aber nein. Der Arzt sagt doch, ich soll mir möglichst viel
Bewegung machen … Komm, gehen wir, sonst geht das blödsinnige Geklingel wieder
los.»
    Es war noch eine Stunde bis zum Sonnenuntergang, aber der
Gottesdienst sollte fünfzehn Minuten früher beginnen. Und wenn man auch bis zur
Synagoge nur zwanzig Minuten brauchte, so war es an diesem Abend doch ratsam,
zeitig dort zu sein. Als sie zur Tür gingen, schrillte nochmals das Telefon.
    «Lass läuten, David.»
    «Damit ich mir den ganzen Abend den Kopf zerbreche, wer es
wohl war? Ich mach’s kurz.»
    «Rabbi?» Die heisere Stimme klang aufgeregt. «Hier spricht
Ben Goralsky. Ich hab eine große Bitte an Sie: Könnten Sie auf dem Weg zur
Synagoge rasch hier vorbeikommen? Es ist furchtbar wichtig. Mein Vater … Er ist
sehr krank.»
    «Wir waren schon am Gehen, und … Es ist schon spät, und Ihr
Haus liegt nicht auf dem Weg.»
    «Sie müssen kommen, Rabbi! Es geht um ein Leben. Ich schick
Ihnen einen Wagen, und nachher fahr ich Sie selber zur Synagoge … Sie werden
bestimmt zur Zeit dort sein.»
    «Also …»
    «Der Wagen ist schon unterwegs. In ein paar Minuten ist er
bei Ihnen.»

2
     
    Hugh Lanigan, der Polizeichef von Barnard’s Crossing, war ein
untersetzter Mann mit einem freundlichen irischen Gesicht und schneeweißem
Haar. Er ließ sich in seinen Drehstuhl sinken und schwang sich herum, um seinen
Besucher zu mustern: «Was kann ich für Sie tun, Herr Pfarrer?», fragte er
zuvorkommend.
    Der Mann auf dem Stuhl gegenüber war jung – höchstens fünfunddreißig.
Er war groß und breitschultrig. Auf dem kräftigen Nacken saß ein schöner,
markanter Kopf. Das blonde Kraushaar begann seitlich am Stirnansatz schütter zu
werden. Trotz des klerikalen Stehkragens sah er eher wie ein Footballspieler
als wie ein anglikanischer Geistlicher aus. Peter Dodge hatte tatsächlich
mehrere Jahre lang als Profi gespielt, ehe er sich dann für die geistliche
Laufbahn entschloss.
    «Peter Dodge, Assistent von Dr. Sturgis an der Pfarrei von St.
Anselm’s», stellte er sich mit tiefer Baritonstimme vor.
    Lanigan nickte.
    «Ich möchte mich über zwei von Ihren Leuten beschweren.»
    «Oh? Über wen denn?»
    «Ich weiß nicht, wie sie heißen.»
    «Kennen Sie die Nummern ihrer Dienstmarken?»
    «Nein. Aber es waren die beiden Beamten, die am
Mittwochabend den Streifenwagen fuhren.»
    Lanigan warf einen Blick auf den Plan, der an der Wand hing.
    «Loomis und Derry … Beides gute Leute. Was haben sie angestellt?»
    «Ach, es gab da irgendwelchen Ärger in Bill’s Café – es
liegt an der Straße nach Salem …»
    «Ich weiß, wo es liegt.»
    «Jedenfalls, Bill … eh, der Wirt, forderte die Radaubrüder auf,
das Lokal zu verlassen. Sie gehorchten ohne Widerrede, aber dann lungerten sie
draußen herum und fingen die Gäste ab, die ins Lokal wollten … Schön, sie haben
sich schlecht benommen; aber es war nicht ernsthaft gemeint.»
    «Obwohl sie die Gäste nicht hereinließen?»
    «Ich habe mit dem Wirt gesprochen; er sagte, die Sache sei gar
nicht so schlimm gewesen …»
    «Ach, Sie waren nicht dort, als es passierte?»
    «Nein. Ich kam erst später hinzu.»
    «Auf Ihrem täglichen Abendspaziergang?»
    Der junge Pfarrer war erstaunt. «Woher wissen Sie, dass ich
jeden Abend einen Spaziergang mache? Stehe ich etwa unter Polizeiaufsicht?»
    Lanigan lächelte.
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