Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
zweimal im Jahr zur Henchman Street zu kommen, hätte bedeutet, dass Genera George Gilbert arbeitslos und unvermittelbar im Haus herumlungern gesehen hätte. Ein Besuch in North Kensington hätte Glory ihrerseits der Gefahr ausgesetzt, einem Exemplar aus der endlosen Reihe von Männern zu begegnen, die Genera aufgabelte und alsbald wieder abservierte. Die beiden Frauen betrachteten ihre seltenen Begegnungen als eine Art Waffenstillstand. Das Telefon reichte ihnen für gewöhnlich, um Kontakt zu halten.
    Als die Kinder hörten, dass sie einen Umweg zu ihrer Tante Genera machen sollten, um sich zu verabschieden, reagierten sie daher mit Verwirrung, Überraschung und Argwohn. Toby glaubte, sie seien in Jamaika angekommen. Joel bemühte sich, die plötzliche Abweichung von ihrem Plan zu verarbeiten, und Ness murmelte: »Ja, klar«, als habe ein heimlich gehegter Verdacht sich gerade bestätigt.
    Glory hörte darüber hinweg und übernahm wieder die Führung. Sie ging davon aus, dass ihre Enkel ihr folgen würden wie die Küken der Entenmutter. Was sonst blieb ihnen auch übrig in einer Londoner Gegend, in der sie sich nicht auskannten?
    Glücklicherweise war es kein weiter Weg von der Ladbroke Grove zum Edenham Estate, doch schon auf der Golbourne Road erregten sie erneut Aufmerksamkeit. Dort war Markttag, auch wenn die Zahl der Stände nicht so beeindruckend war wie auf der Church Road oder in der Umgebung der Brick Lane. Am Obst- und Gemüsestand von E. Price & Söhne bedienten zwei ältere Herren - Vater und Sohn, die in Wahrheit jedoch eher wie Brüder aussahen - zwei Kundinnen und kommentierten die vorüberziehende Karawane von Fremdlingen. Ihre Kundinnen waren selbst einmal als Fremde in die Gegend gekommen, aber Vater und Sohn Price hatten gelernt, ihnen mit Respekt zu begegnen. Es blieb ihnen auch nicht viel anderes übrig, denn in den sechzig Jahren, in denen sie den Obst- und Gemüsestand betrieben, hatten sie erlebt, wie die englische Bevölkerung des Viertels, das Golbourne Ward genannt wurde, erst von Portugiesen verdrängt wurde und diese von Marokkanern, und sie wussten, es war weise, diese zahlende Kundschaft anzuerkennen.
    Doch die kleine Gruppe, die da die Straße entlangmarschierte, hatte offensichtlich nicht die Absicht, etwas an den Marktständen zu kaufen. Vielmehr hielten sie den Blick auf die Portobello Bridge geheftet, und bald schon hatten sie sie überquert. Ein Stück die Elkstone Road hinab auf der anderen Seite lag in Hörweite des unablässigen Getöses der Westway-Überführung und gleich neben einem mäandrierenden Park namens Meanwhile Gardens die Edenham-Siedlung. Das zentrale Element dieser Siedlung war der Trellick Tower, der mit anmaßendem Stolz in die Höhe ragte: dreißig Stockwerke Sichtbeton, Hunderte von Balkonen an der Westfassade, auf denen Satellitenschüsseln, bunte Sichtschutzplanen und flatternde Wäscheleinen wie Unkraut wucherten. Der frei stehende Aufzugschacht, der durch ein System von Brücken mit dem Hauptgebäude verbundenwar, war das einzig Bemerkenswerte an diesem Turm. Davon abgesehen, glich er den meisten Massenunterkünften der Nachkriegszeit in der Stadt; riesige, graue Narben in der Landschaft, sichtbare Beweise fehlgeschlagener guter Absichten. Um den Turm gruppierte sich der Rest der Siedlung: Mehrfamilienhäuser, ein Seniorenheim und zwei Reihen mit Einfamilienhäuschen, die unmittelbar an Meanwhile Gardens grenzten.
    In einem dieser Häuschen lebte Genera Osborne. Dorthin führte Glory ihre Enkel, und mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sie die Plastiktüten auf der oberen Treppenstufe vor Kendras Haustür fallen. Joel stellte die Koffer ab und rieb sich die schmerzenden Hände an den Seiten seiner Jeans. Toby blickte sich blinzelnd um, während seine Finger krampfhaft den Schwimmreifen kneteten. Ness rammte den Einkaufstrolley vor die Garagentür, verschränkte die Arme vor der Brust und warf ihrer Großmutter einen finsteren Blick zu, der zu sagen schien: Und was kommt als Nächstes, du Miststück?
    Viel zu clever, dachte Glory beim Anblick ihrer Enkelin nervös. Ness war ihren Brüdern seit jeher immer ein gutes Stück voraus gewesen.
    Glory wandte dem Mädchen den Rücken zu und drückte resolut die Klingel. Das Tageslicht schwand, und auch wenn Zeit angesichts ihres Plans nicht von essenzieller Wichtigkeit war, lag Glory doch daran, dass der nächste Abschnitt ihres Lebens möglichst bald beginne. Sie klingelte ein zweites Mal.
    »Sieht nich'
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher