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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat
Autoren: Elizabeth George
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mehr oder weniger kahlen Stellen an seinem Kopf, auf dem das Haar ungleichmäßig nachwuchs und für einen Siebenjährigen viel zu spärlich war - und natürlich der Schwimmreifen, der viel zu viel Platz beanspruchte, von dem er sich aber um keinen Preis trennen wollte. Auch Ness' Vorschlag: »Nimm das verdammte Ding einfach in die Hand«, stieß nicht auf Gegenliebe. Bei Ness selbst war es der unnatürlich dunkle Ton ihrer Haut, offensichtlich durch Make-up verstärkt, als wolle sie ihre ethnische Herkunft schwärzer malen, als sie tatsächlich war. Hätte sie die Jacke ausgezogen, wäre außer ihrer Jeans auch ihrer übrigen Kleidung einige Aufmerksamkeit zuteilgeworden: Das paillettenbesetzte Top ließ ihren Bauchnabel frei und offenbarte ein üppiges Dekolleté. In Joels Fall waren es die münzgroßen Pigmentflecken im Gesicht, die man beim besten Willen nicht mehr als Sommersprossen abtun konnte und die eine physische Folge der ethnischen und genetischen Scharmützel waren, die sein Blut vom Moment seiner Zeugung an ausgetragen hatte. Und wie bei Toby war auch sein Haar auffällig: Unbändig und widerspenstig stand es vom Kopf ab wie rostige Stahlwolle. Nur Toby und Joel sahen aus, als könnten sie möglicherweise mit-einander verwandt sein; und keines der Kinder hatte auch nur die geringste Ähnlichkeit mit Glory.
    Also fielen sie auf. Nicht nur nahmen sie mit ihren Koffern, dem Einkaufstrolley und den fünf randvollen Sainsbury-Plas- tiktüten, die Glory zu ihren Füßen abgestellt hatte, fast den ganzen Platz im Gang ein. Sie boten eben auch einen denkwürdigen Anblick.
    Von den vieren waren sich nur Joel und Ness der Blicke der übrigen Fahrgäste bewusst, und sie reagierten unterschiedlich darauf. Joel las aus jedem Blick: »Gelbärschiger Bastard«, und jedes Mal, wenn ein Augenpaar sich hastig abwandte, schien es ihm, als werde sein Recht, auf Erden zu wandeln, in Abrede gestellt. Dieselben Blicke deutete Ness als musternde Lüsternheit, und sie war versucht, ihre Jacke aufzureißen, ihre Brust vorzustrecken und zu schreien: »Willst du das, Mann? Isses das hier, was du willst?«, wie sie es häufig auf der Straße tat.
    Glory und Toby hingegen hielten sich in ihren eigenen Welten auf. Bei Toby war dies der Normalzustand - eine Tatsache, über die niemand in der Familie besonders gern nachdachte. Bei Glory lag es eher an ihrer momentanen Situation und an der Lösung, die sie anstrebte.
    Der Bus quälte sich die Strecke entlang und ließ die Pfützen, die der letzte Regen hinterlassen hatte, aufspritzen. Ohne Rücksicht auf die Sicherheit der Fahrgäste, die sich an die Haltestangen klammerten, steuerte er die Haltestellen am Straßenrand an, und es wurde immer voller und enger. So wie immer im winterlichen Londoner Personennahverkehr lief die Heizung auf Hochtouren, und da kein Fenster außer dem des Fahrers geöffnet werden konnte, war die Atemluft nicht nur warm und stickig, sondern ebenso angefüllt mit jenen Mikroorganismen, die unverwehrtes Niesen und Husten verbreiten.
    All das gab Glory den Vorwand, den sie brauchte. Sie hatte die ganze Zeit über akribisch verfolgt, wo genau sie sich befanden, und wog alle nur erdenklichen Gründe ab, die sie für das, was sie zu tun gedachte, anführen konnte. Doch die Luft im Bus genügte völlig. Als sie auf Höhe der Chesterton Roadüber die Ladbroke Grove fuhren, drückte sie entschlossen den roten Halteknopf. »Raus hier«, teilte sie den Kindern mit, und mitsamt ihrer Habseligkeiten drängten sie sich zur Tür und in die wohltuend kalte Luft hinaus.
    Dieser Ort war meilenweit entfernt von Jamaika und selbst von jedwedem Flughafen, wo sie einen Flieger in Richtung Westen hätten besteigen können. Doch ehe irgendjemand sie auf diese Tatsachen aufmerksam machen konnte, rückte Glory ihren Turban zurecht, der im Gedränge des Busses in Schieflage geraten war, und erklärte den Kindern: »Wir können ja wohl nich' nach Ja-mai-ka, ohne dass ihr euch von eurem Tantchen verabschiedet, was?«
    Bei diesem »Tantchen« handelte es sich um Glorys einzige Tochter, Genera Osborne. Obwohl sie nur eine Busfahrt von East Acton entfernt lebte, hatten die Campbell-Kinder sie im Laufe der letzten drei Jahre nur wenige Male gesehen, zu den obligatorischen Familientreffen an Weihnachten und Ostern. Nicht dass sie und Glory entfremdet gewesen wären. Die Wahrheit war, dass die Frauen einander missbilligten - und diese Missbilligung betraf ihren Umgang mit Männern. Mehr als
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