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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
Autoren: Charlotte Link
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Erde aufgefüllt hatte, wo sie dabeigewesen war, frische Blumen
zu pflanzen. Sie war erstickt, verblutet, hatte im Todeskampf die Finger in die Erde gegraben.
    Die Luft roch nach Blut.
    Vor Entsetzen hatten die Vögel aufgehört zu singen.
    Nie wieder, dachte sie, würde die Stille dieses Moments Stanbury verlassen. Nie wieder würde ein lautes Wort angebracht sein, oder gar ein Lachen oder das fröhliche Geschrei von Kindern …
    Bei diesem Gedanken strich sie unwillkürlich über ihren Bauch und fragte sich, welchen Schaden es bei dem Baby anrichten würde, daß seine Mutter einen Schock erlitten hatte - denn sicher hatte sie das: Ein Schock war das mindeste, was man erlitt, wenn man eine Freundin mit durchgeschnittener Kehle in einer ehemaligen Schaftränke fand —, und ob sie es nun womöglich verlor.
    Erst dann überlegte sie, ob der, der das hier getan hatte, wohl verschwunden war oder ob er sich noch irgendwo in der Nähe aufhielt. Und bei diesem Gedanken konnte sie plötzlich die Beine nicht mehr bewegen. Sie stand wie gelähmt, und alles, was sie in dieser tödlichen Stille hörte, war ihr eigener angsterfüllter, keuchender Atem.

Samstag, 12. April - Donnerstag, 24. April
    1
    Phillip Bowen sah sich voll Erstaunen mit der Erkenntnis konfrontiert, daß er noch nie in seinem Leben wirklich gehaßt hatte. Auch wenn er natürlich früher schon einige Male geglaubt hatte, Haß zu empfinden - auf Sheila zum Beispiel, wenn er sie trotz all ihrer Versprechungen und Beteuerungen wieder und wieder mit der Nadel im Arm erwischt hatte -, so begriff er nun, daß diese Emotionen etwas mit Wut, Schmerz, Zorn und Trauer zu tun gehabt haben mußten, nicht aber mit Haß.
    Denn den fühlte er jetzt, als er vor dem Haus stand, an dem ihm nicht ein einziger Ziegelstein gehörte, und es war ein so starkes, machtvolles Gefühl, daß er es als vollkommen neu und erstmalig in seinem Leben erkannte.
    Das Haus war von einfacher Bauweise, schlicht und schnörkellos, mit geraden, klaren Linien und genau so, wie er sich sein Traumhaus immer vorgestellt hätte, wäre er irgendwann einmal in der Situation gewesen, darüber nachzudenken. Es gab ein Stockwerk und ein Dachgeschoß mit kleinen Gauben und Bleiglasfenstern. Neben der schweren Haustür aus Eichenholz kletterte Efeu empor und verlor sich dann irgendwo im schmiedeeisernen Gitter eines kleinen Balkons im ersten Stock.
    Ging man um das Haus herum, so gelangte man zu der eindrucksvollen Terrasse. Sie erstreckte sich über die gesamte Breite und war von einer Sandsteinbalustrade eingefaßt, die sich nach vorn hin öffnete und einer großzügigen Treppe Raum bot. Vier langgestreckte Stufen führten in den Garten hinunter, der eigentlich
ein Park war: weitläufig, Wiesen und Wälder umschließend, eingefaßt von einer sehr alten steinernen Mauer, die jedoch an so vielen Stellen zerbröckelt oder sogar ganz verschwunden war, daß sich die eigentliche Grundstücksgrenze über weite Strecken hin nicht feststellen ließ. Phillip hatte sich alles angesehen. Er hatte das ganze Areal umrundet, den ganzen Besitz, und er war fast vier Stunden unterwegs gewesen. Nun stieg er die Stufen zur Terrasse hinauf und versuchte sich vorzustellen, wie es sein mußte, sie tagtäglich lässig hinauf- und hinunterzuspringen und zu wissen, daß, so weit das Auge reichte, einem das alles selber gehörte.
    In einer schattigen Ecke der Veranda entdeckte er große Terrakottatöpfe, in denen verdorrte Blumen steckten, ein Hinweis darauf, daß das Anwesen als Feriensitz genutzt und zwischendurch nur in großen Abständen von einem Gärtner und einer Putzfrau gewartet wurde. Auch der Rasen unten im unmittelbar anschließenden Teil des Parks stand ziemlich hoch. Im Dorf hatte man Phillip Auskunft erteilt. Er hatte mit der Besitzerin des Gemischtwarenladens gesprochen, und diese hatte nur zu gern ihr Wissen weitergegeben.
    »Meine Schwester putzt dort, und sie sieht alle drei Wochen nach dem Rechten. Und bevor die Herrschaften anreisen, lüftet sie gründlich und wischt Staub, und manchmal stellt sie auch frische Blumen in die Räume. Und dann gibt es noch Steve, den Gärtner. Also, eigentlich ist er kein Gärtner, er arbeitet in Leeds bei irgendeiner Firma ... aber natürlich reicht das Geld nie, und so ist er immer dankbar, wenn er irgendwo etwas dazuverdienen kann. Na ja, und da mäht er eben den Rasen und kümmert sich ums Grundstück ...« Phillip hatte rasch eingehakt, denn die Geschichte von Steve dem Gärtner
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