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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest
Autoren: Marcus Imbsweiler
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wollte da widersprechen? Ohne Abwehr lief gar nichts. Das war das Mantra aller gescheiterten Fußballer, und von denen gab es im Englischen Jäger genug. Rumpelfüßler, Kampfschweine, Knochenbrecher, Grasnarbentorpedos. Sie bevölkerten die Kneipe, brüllten ihre Weisheiten heraus und spülten sie mit Bier hinunter. Ich mitten unter ihnen. Nur der schöne Herbert verzog gelangweilt das Gesicht, wenn das Gespräch auf Sport kam, aber was will man von einem Einarmigen auch anderes erwarten.
    Irgendwann stand Tischfußball-Kurt auf seinem Stuhl und bat wild fuchtelnd um Ruhe. »Wisst ihr, was mich rasend macht?«, brüllte er. »Na? Die schleichende Merkelisierung der Gesellschaft. Rasend macht mich das!«
    »Die was?«, grölten wir.
    »Die Merkelisierung unserer Gesellschaft. Steht mir bis hier. Kotzen könnt ich deswegen.«
    »Max Merkel?«, fragte der schöne Herbert.
    »Angela, du Depp«, fuhr ihn Kurt an und rollte mit den Augen. »Frau Bundeskanzler. Zonen-Angie. Da wächst was heran, ganz heimlich, im Stillen, wie ein Krebsgeschwür, und am Ende kriegen wir die Quittung. Wenn nix mehr zu machen ist. Dann sind wir alle erledigt.«
    »Kapiere ich nicht«, sagte ich. »Wieso Merkelisierung?«
    »Ist doch klar, Mann! Schau dir das Weib nur an. Wie die auftritt! Außenrum weiblich, betont weiblich, Kostümchen und so, anderer Stil, verstehst du? Aber innen …«
    »Innen nicht weiblich?«
    »Doch, auch. Aber hart wie Stein. Granit, klar? Die hat sich durchgesetzt, die steht oben. Jetzt will jeder so sein. Beziehungsweise jede.«
    »Wie, jede?«
    »Jede Frau natürlich. Die Weiber, alle. Ziehen Kostümchen an und machen einen auf Supermanager. Jungs, ich sage euch, da kommt was auf euch zu.«
    »Das stimmt«, rief einer. »Die Weiber!«
    »Zieht euch warm an!«
    »Lass doch die Frauen, Kurti«, meinte Herbert. »Du findest wieder eine neue.«
    »Dich hat keiner gefragt!«, brüllte Kurt von seinem erhöhten Standpunkt. Seine beiden Dackel kamen unter dem Tisch hervorgeschossen, um kläffend Beistand zu leisten. Herbert schüttelte den Kopf.
    »Ist er seine Freundin schon wieder los?«, fragte ich vorsichtig. »Nach acht Wochen?« Tischfußball-Kurt ist eine Seele von Mensch, solange er nicht in Wut gerät. Und das passiert beim geringsten Anlass.
    »Ich weiß nicht, von welcher Freundin du sprichst«, gab Herbert leise zurück, »aber die ist er los. Getürmt, was glaubst du.«
    »Und was hat er gegen die Merkel?«
    »Frag ihn.«
    Das ließ ich lieber bleiben. Kurt stand immer noch über uns, wetterte gegen die Verrohung der Sitten und schüttelte beide Fäuste. Maria brachte eine neue Ladung Getränke. Hinten am Stammtisch lachten sie sich schlapp über uns. Der Englische Jäger bebte.
    Urplötzlich kehrte Ruhe ein. Leander, der rauschebärtige Philosoph, trat freundlich lächelnd an unseren Tisch. Kurt stieg kommentarlos vom Stuhl, um sich hinter seinem Glas Orangensaft zu verkrümeln. Schluss mit dem Gebrülle.
    Herbert und ich sahen uns verwundert an.
    »Habt ihr das gehört?«, fragte Leander mit seiner sanften Stimme.
    »Was?«
    »Draußen, die vielen Lichter und Geräusche.« Er überlegte. »Erst dachte ich, das kommt vom Heidelberger Herbst, aber dann …«
    »Dann?«
    »Dachte ich es nicht mehr.«
    »Ganz schön was los in der Altstadt, wie?«
    Er nickte, holte Luft, als wollte er eine Ergänzung anbringen, schüttelte aber nur den Kopf. Leander ist auf die komplizierten Sachverhalte geeicht. Die einfachen bereiten ihm Schwierigkeiten.
    Wir hätten ihn besser fragen sollen, was es mit den Lichtern und dem Lärm auf sich hatte. Oder wir hätten die Fenster öffnen sollen, warm genug war es ja. Dann hätten wir um halb neun eine Kolonne von Notarztwagen hören können, wie sie den Neckar entlangbrauste. Es muss ein infernalischer Lärm gewesen sein, das markerschütternde Geheul eines Chors von Martinshörnern. Alles, was an Nothelfern und Ordnungshütern in der Stadt verfügbar war, wurde wie von magnetischen Fingern auf dem Uniplatz zusammengezogen.
    Doch wir öffneten die Fenster nicht. Niemand im Englischen Jäger wäre auf so einen Gedanken gekommen. Lieber die Vorhänge noch ein wenig zuziehen. Man will unter sich sein. Will auf den Grund leerer Schnapsgläser starren, sein Autogramm in Form dunkler Bierränder auf der Tischplatte hinterlassen, ungestört sein für jetzt und immer. Mochten die draußen sich die Köpfe einschlagen; solange hier drin Frieden herrschte, war alles gut. Die Außenwelt
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