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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Autoren: Judith Kerr
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anstecken«, sagte er.
    Anna half Heimpi, die Plätzchen mit einem Zuckerguß zu versehen - und dann aßen sie und Max und Günther sie - alle außer dreien, die Heimpi in eine Papiertüte steckte, damit Günther sie seiner Mutter mit nach Hause nehmen konnte. Sie hatte noch andere Kleidungsstücke gefunden, aus denen Max herausgewachsen war, so daß ein ganz schönes Paket zusammengekommen war, das er nachher mit nach Hause nehmen sollte.
    Für den Rest des Abends spielten sie zusammen.
    Max und Anna hatten zu Weihnachten eine Sammlung von Spielen bekommen. Sie hatten immer noch Freude daran, damit zu spielen. Die Sammlung enthielt ein Mühlespiel, Schach, Ludo, Domino, ein Dame- und sechs verschiedene Kartenspiele, alles zusammen in einer wunderschönen Schachtel. Wenn man eines Spiels überdrüssig war, konnte man immer ein anderes spielen. Heimpi saß bei ihnen im Kinderzimmer und stopfte Strümpfe und spielte auch einmal Ludo mit. Nur zu bald war es Zeit, zu Bett zu gehen.
    Am nächsten Morgen lief Anna in Papas Zimmer, um ihn zu besuchen. Der Schreibtisch war aufgeräumt. Das Bett war ordentlich gemacht.
    Papa war fort.

2
    Annas erster Gedanke war so schrecklich, daß ihr der Atem stockte. Papa war in der Nacht kränker geworden. Man hatte ihn ins Krankenhaus gebracht.
    Vielleicht... Sie rannte blindlings aus dem Zimmer und Heimpi direkt in die Arme.
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte Heimpi. »Es ist alles in Ordnung! Dein Vater hat eine Reise angetreten.«
    »Eine Reise?« Anna konnte es nicht glauben.
    »Aber er ist doch krank - er hat Fieber...«
    »Er hat sich trotzdem entschlossen, zu verreisen«, sagte Heimpi bestimmt. »Deine Mutter wollte es dir alles erklären, wenn du aus der Schule kommst. Ich glaube, jetzt hörst du es besser gleich, und Fräulein Schmidt kann die Daumen drehen und auf dich warten.«
    »Was ist denn los? Gehen wir nicht zur Schule?«
    Max erschien mit hoffnungsvollem Gesicht auf der Treppe.
    Dann kam Mama aus ihrem Zimmer. Sie war noch im Morgenrock und sah müde aus.
    »Es gibt überhaupt keinen Grund zur Aufregung«, sagte sie. »Aber ich muß euch einiges sagen. Heimpi, können wir noch etwas Kaffee haben? Und ich glaube, die Kinder könnten auch noch ein bißchen frühstücken.«
    Als sie erst einmal bei Kaffee und Brötchen in Heimpis Küche saßen, fühlte Anna sich schon viel besser, und sie war sogar imstande, sich darüber zu freuen, daß sie jetzt die Geographiestunde verpassen würde, die ihr besonders verhaßt war.
    »Die Sache ist ganz einfach«, sagte Mama. »Papa glaubt, daß Hitler und die Nazis die Wahlen gewinnen könnten. Wenn das geschieht, möchte er nicht mehr in Deutschland leben, solange sie an der Macht sind, und keiner von uns möchte das.«
    »Weil wir Juden sind?« fragte Anna.
    »Nicht nur, weil wir Juden sind. Papa glaubt, daß dann niemand mehr sagen darf, was er denkt, und er könnte dann nicht mehr schreiben. Die Nazis wollen keine Leute, die anderer Meinung sind als sie.« Mama nahm einen Schluck Kaffee und sah gleich etwas heiterer aus. »Natürlich kann es sein, daß es nicht so kommt, und wenn es so kommt, wird es wahrscheinlich nicht lange dauern - vielleicht sechs Monate oder so. Aber im Augenblick wissen wir es einfach nicht.«
    »Aber warum ist Papa so plötzlich weggefahren?«
    »Weil ihn gestern jemand angerufen und ihn gewarnt hat, daß man ihm vielleicht den Paß wegnehmen würde. Darum habe ich ihm einen kleinen Koffer gepackt, und er hat den Nachtzug nach Prag genommen - das ist der kürzeste Weg aus Deutschland hinaus.«
    »Wer könnte ihm denn seinen Paß wegnehmen?«
    »Die Polizei. In der Polizei gibt es ziemlich viele Nazis.«
    »Und wer hat ihn angerufen und ihn gewarnt?«
    Mama lächelte zum ersten Mal.
    »Auch ein Polizist. Einer, den Papa nie getroffen hat; einer der seine Bücher gelesen hat, und dem sie gefallen haben.«
    Anna und Max brauchten einige Zeit, um all das zu verdauen. »Nun«, sagte Mama, »bis zu den Wahlen sind nur noch zehn Tage. Entweder die Nazis verlieren, dann kommt Papa zurück - oder sie gewinnen, dann fahren wir zu ihm.«
    »Nach Prag?« fragte Max.
    »Nein, wahrscheinlich in die Schweiz. Dort spricht man Deutsch. Papa könnte dort schreiben. Wir würden wahrscheinlich ein kleines Haus mieten und dort bleiben, bis alles vorbei ist.«
    »Auch Heimpi?« fragte Anna.
    »Auch Heimpi.«
    Es klang ganz aufregend. Anna fing an, es sich vorzustellen - ein Haus in den Bergen... Ziegen ... oder waren es
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