Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Autoren: Judith Kerr
Vom Netzwerk:
Stirn.
    »Aber Papa, sie hat mich gebeten, dir zu bestellen...«
    Mama wurde ganz böse.
    »Um Himmels willen, Anna«, rief sie, »wir wollen jetzt nichts davon hören! Geh weg!«
    »Komm nachher zurück«, sagte Papa etwas sanfter.
    Anna machte die Tür zu. So war das also. Nicht, daß sie Lust gehabt hätte, Fräulein Lambecks blöde Nachricht zu überbringen. Aber sie ärgerte sich doch.
    Es war niemand im Kinderzimmer. Sie konnte draußen Stimmen hören. Max und Günther spielten also wahrscheinlich im Garten. Aber sie hatte keine Lust, zu ihnen zu gehen. Ihr Ranzen hing über der Stuhllehne. Sie packte ihre neuen Farbstifte aus und holte sie alle aus der Schachtel. Darunter war ein schönes Rosa und ein ganz schönes Orange, aber am schönsten waren die Blaus. Es waren drei verschiedene Töne, alle schön kräftig und auch ein Violett.
    Plötzlich kam Anna eine Idee.
    Sie hatte in der letzten Zeit ein paar Gedichte gemacht und sie auch illustriert, und sie waren zu Hause und auch in der Schule sehr bewundert worden. Eins hatte von einer Feuersbrunst gehandelt, eins von einem Erdbeben und eins von einem Mann, der unter schrecklichen Qualen starb, nachdem er von einem Landstreicher verflucht worden war. Sollte sie es einmal mit einem Schiffbruch versuchen? Allerlei Wörter reimten sich auf »See«, und man konnte »Welle« und »helle« reimen, und für die Illustration konnte sie die drei neuen blauen Stifte benutzen. Sie holte sich ein Blatt Papier und fing an.
    Bald war sie so in ihre Arbeit versunken, daß sie nicht bemerkte, wie die frühe winterliche Dämmerung sich im Zimmer verbreitete und fuhr hoch, als Heimpi hereinkam und das Licht anknipste.
    »Ich habe Plätzchen gebacken«, sagte Heimpi, »Willst du mir helfen, sie zu glasieren?«
    »Kann ich das hier zuerst Papa zeigen?« fragte Anna während sie das letzte Stückchen blauer See ausmalte. Heimpi nickte.
    Diesmal klopfte Anna an und wartete, bis Papa »herein« rief. Sein Zimmer sah geheimnisvoll aus, denn nur die Bettlampe brannte, und Papa und sein Bett waren eine erleuchtete Insel mitten in den Schatten. Nur undeutlich konnte sie seinen Schreibtisch mit der Schreibmaschine erkennen und den Stapel Papier, der wie gewöhnlich vom Tisch auf den Boden überquoll. Weil Papa oft noch spät in der Nacht schrieb und Mama nicht stören wollte, stand sein Bett in seinem Arbeitszimmer.
    Papa sah nicht aus, als ginge es ihm besser. Er saß da und tat überhaupt nichts, sondern starrte nur mit einem angespannten Ausdruck in seinem schmalen Gesicht vor sich hin. Aber als er Anna sah, lächelte er.
    Sie zeigte ihm das Gedicht, und er las es zweimal durch und sagte, es sei sehr gut, und er bewunderte auch die Illustration. Dann erzählte ihm Anna von Fräulein Lambeck, und sie lachten beide. Er sah jetzt wieder mehr wie sonst aus, darum sagte Anna: »Papa, gefällt dir das Gedicht auch wirklich?«
    Papa sagte ja.
    »Meinst du nicht, es sollte fröhlicher sein?«
    »Nun«, sagte Papa, »ein Schiffbruch ist ja wirklich nichts fröhliches .«
    »Meine Lehrerin, Fräulein Schmidt, meint, ich sollte über fröhlichere Sachen schreiben, zum Beispiel über den Frühling und über Blumen.«
    »Und möchtest du denn über den Frühling und über Blumen schreiben?«
    »Nein«, sagte Anna traurig. »Im Augenblick scheine ich nur über Unglücksfälle schreiben zu können.«
    Papa lächelte ein wenig schief und sagte, da wäre sie wohl ganz im Einklang mit der Zeit.
    »Meinst du denn«, fragte Anna eifrig, »daß es richtig ist, über Unglücksfälle zu schreiben?« Papa wurde sofort ernst.
    »Natürlich«, sagte er. »Wenn du über Unglück schreiben willst, mußt du es auch tun. Es hat keinen Zweck, das zu schreiben, was andere Leute hören wollen. Man kann nur dann gut schreiben, wenn man versucht, es sich selbst recht zu machen.«
    Anna war von dem, was Papa sagte, so ermutigt, daß sie ihn gerade fragen wollte, ob er wohl glaubte, sie könne eines Tages berühmt werden, aber das Telefon an Papas Bett klingelte laut. Als Papa den Hörer aufnahm, war der gespannte Ausdruck wieder in seinem Gesicht, und Anna fand es seltsam, daß sogar seine Stimme verändert klang. Sie hörte ihn sagen: »Ja ... ja...« Auch von Prag war die Rede. Dann verlor sie das Interesse. Aber das Gespräch war bald vorüber.
    »Lauf jetzt lieber«, sagte Papa. Er streckte die Arme aus, als wollte er sie an sich drücken. Aber dann ließ er sie wieder sinken.
    »Ich will dich lieber nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher