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Als die erste Atombombe fiel

Als die erste Atombombe fiel

Titel: Als die erste Atombombe fiel
Autoren: Ravensburger
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tragischer waren die Schäden, die die Bevölkerung davongetragen hatte. Mehrere hunderttausend Menschen sind durch die Bombe getötet worden, hinzu kamen die entsetzlichen körperlichen und seelischen Leiden, mit denen viele heute noch zu kämpfen haben.
    Professor Osada war Erziehungswissenschaftler. Am Tag der Explosion hielt er sich im Strahlenradius der Bombe auf. Osada hat mit den Kindern von Hiroshima gelitten. Damit die grausamen Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten, ließ er sich Erlebnisse von betroffenen Kindern schildern. Dann entschloss er sich, solche Berichte systematisch zu sammeln, zu ordnen und schriftlich festzuhalten. »Aber es stellte sich bald heraus«, schreibt er, »dass dies schwieriger war, als ich erwartet hatte. Weil sie Heim und Familie verloren hatten, lebten die Kinder oft weit verstreut. Trotzdem hatten die Schulleiter, die Lehrer und besonders die Kinder selbst großes Verständnis für mein Vorhaben und scheuten keine Mühe. Ein Manuskript nach dem anderen ging bei mir ein und bald stapelten sich die Berichte auf meinem Schreibtisch. Ich war immer wieder betroffen von den darin beschriebenen Leiden. Ich war inzwischen über sechzig und glaubte, ich hätte alle Not, die das Leben zu bieten hat, hinter mir, aber viele Male musste ich die Manuskripte zur Seite legen und die Tränen wegwischen, die mir über die Wangen liefen, als ich diese freimütigen und sachlichen Beschreibungen der unheilvollen Tage las. Diese Kinder hatten oft durch bloßen Zufall überlebt, hatten erlebt, wie ihre Eltern, Geschwister, Lehrer oder Freunde starben, zerdrückt von den Balken eines einstürzenden Hauses oder bei lebendigem Leib verbrannt in einem Meer von Flammen.«
    Professor Osada beschloss, diese Berichte in einem Buch zu veröffentlichen. »Als ich diese Berichte gelesen hatte, konnte ich es nicht übers Herz bringen, sie einfach nur als Quelle für meine privaten Forschungen zu betrachten und für mich zu behalten. Ich hielt es für meine Pflicht und für ein Privileg, das Material zu veröffentlichen, wenigstens einen Teil davon. So wie es war und so schnell wie möglich, damit Menschen mit einem Gewissen, Menschen aus allen sozialen Schichten, nicht nur in Japan, sondern auf der ganzen Welt es lesen konnten.
    Diese sehr persönlichen Schilderungen sind zu eindrucksvoll in ihrer Echtheit und zu ernst in ihrer Bedeutung, als dass man sie einfach als Aufsätze von Schulkindern abtun könnte. Kikuko Nagara, eine Schülerin der neunten Klasse, schreibt: ›Jedes Mal, wenn ich anfing zu schreiben, standen mir die Erinnerungen an die Katastrophe wieder vor Augen, Bild für Bild. Es war sehr schwer für mich, das alles aufzuschreiben; mehr als einmal zögerte ich, weil der Schmerz so heftig war – als hätte ich eine kaum verheilte Wunde berührt. Aber ich entschloss mich weiterzuschreiben in der Hoffnung, damit meine Hochachtung vor meinem Vater, meiner Schwester, meinem Onkel, vielen Freunden und den hunderttausenden von Toten ausdrücken zu können.‹
    Für die Kinder war es also sehr schwer, diese Berichte zu schreiben. Sie gerieten innerlich völlig aus dem Gleichgewicht, wenn sie sich an den Tod ihrer Väter und Mütter erinnerten. Manchmal wurden sie mutlos, wenn sie mit ihren Aufzeichnungen nicht weiterkamen. Ihre Zeugnisse sind Kristalle ihrer Tränen und ihrer Leiden. Es sind Zeichen ihrer Wut gegen den Krieg, der ihnen die nächsten Verwandten nahm; und sie sind gleichzeitig ernst gemeinte, aufrichtige Gebete und Bitten für einen dauerhaften Frieden. Es ist zu wünschen, dass diese Berichte nicht aus Neugier oder flüchtigem Interesse gelesen werden, sondern dass die Leser den Wunsch nach Frieden und Verständigung unter den Menschen mit den Kindern teilen, die diese Berichte geschrieben haben.«
    Professor Osada bedauert ausdrücklich, dass er viele Manuskripte kürzen musste. Das Gleiche gilt auch für diese Ausgabe.
    Er wählte 105 Berichte aus über 3000 Manuskripten aus und bemerkt dazu, dass die Autoren nicht erwachsen, sondern Jungen und Mädchen und dass gelegentlich missglückte Satzkonstruktionen und unvollkommen wiedergegebene Beobachtungen unvermeidlich seien. Aber »sie bezeichnen einen Wendepunkt in der Weltgeschichte: den Schrei des von der Atombombe getroffenen Kindes. Wer diese Berichte gelesen hat, den werden die eingängigen Forderungen der Vorkriegs-Militaristen wie ›Aufrüstung, um den Frieden zu erhalten‹ oder ›Krieg für den Frieden‹ nicht mehr
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