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Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
Autoren: Caroline Vermalle
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Blick auf den Liegestuhl fiel. Dort lag eine schlafende Frau. Sie trug ein unförmiges T-Shirt, und ihr Haar, das aussah, als wäre es zweihundert Jahre alt, war dünn, vollkommen zerzaust und scheußlich gefärbt. Ein Gesicht, das in einem Doppelkinn endete, nein, in einem zweifachen Doppelkinn, und in das sich so viele Falten gegraben hatten wie in die Haut eines Elefanten. Aus dem geöffneten Mund drang ein lautes Schnarchen; dicke, schwabbelige Waden; Hände, die so rissig waren wie Treibholz, hielten einen Kriminalroman fest, der auf kräftigen Oberschenkeln lag. Jacqueline war mittlerweile davon überzeugt, dass sie hier nichts hielt. Es konnte keine Verwandtschaft zwischen diesen gewöhnlichen Bewohnern und Nane Darginay de Boislahire, derFrau des berühmten Malers Aleksander Verbowitz, bestehen. Doch als sie sich gerade entschloss umzukehren, tauchte die junge Frau mit der roten Strähne auf der Terrasse auf.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie und hielt Jacqueline zum Gruß ihr Handgelenk hin. Ihre Finger waren schmutzig und rochen nach Fisch. Jacqueline ergriff widerwillig das Handgelenk. »Ach nichts, ich ... ich ... ich suche Madame Verbowitz. Sie hat früher mal hier gewohnt. Aber offenbar ...«
    »Es wäre besser, wenn Sie ein andermal wiederkommen, denn jetzt ist gerade Mittagsruhe«, erklärte die junge Frau ihr und wies mit dem Kinn auf das schnarchende Ungeheuer.
    Jacqueline, die entsetzt auf die schlafende Frau starrte, rang um Fassung und wandte sich zum Gehen. »Ja, ich komme wieder. Vielen Dank.«
    »Warum wollten Sie sie sprechen? Kann ich etwas ausrichten?«
    »Nein, nein, bemühen Sie sich nicht. Es ist nicht wichtig.«
    »Ich kann ihr doch wenigstens sagen, dass Sie hier waren. Ich habe Ihren Namen nicht richtig verstanden«, beharrte die junge Frau.
    »Jacqueline Le Gall, aber lassen Sie nur.«
    »Kommen Sie am besten um sechs Uhr wieder ... Ach, Unsinn, heute Abend haben wir Gäste. Morgen wäre es besser.«
    »Ist gut, morgen dann«, sagte Jacqueline, die den Garten bereits verlassen hatte.
    »Ich sage ihr, dass Sie morgen Abend um sechs Uhr wiederkommen.«
    »Ja, einverstanden, auf Wieder...«
    Ehe sie ihr »Auf Wiedersehen« beenden konnte, hallte eine dröhnende Stimme durch den Garten.
    »Ah, ich wusste, dass der Südwind uns Regen bringt, aber wenn er uns auch noch alte Cousinen bringt ... steht uns noch einiges bevor. Hahaha.«
    Lautes Lachen hallte vom Liegestuhl herüber, und dann folgte ein furchtbarer Husten, der nicht mehr aufzuhören schien. Nane Verbowitz, geborene Darginay de Boislahire, war aufgewacht.
    »Jacqueline, ich fass es nicht. Was machst du denn hier? Arminda, mein Kind, hilf mir beim Aufstehen.«
    »Ich bin gerade mit den Meeresspinnen zugange«, brummte Arminda und wischte sich die Hände an der sauberen Schürze ab.
    »Jetzt hab dich nicht so. Komm, gib mir deinen Arm und hilf mir hoch.« Arminda musste all ihre Kraft aufwenden, damit Nane sich mit ihrer Hilfe aus dem Liegestuhl hochhieven konnte. Die Aktion war mühevoll und wurde von lautem Ächzen begleitet. Jacquelines Verlegenheit angesichts dieser unwürdigen Szene verwandelte sich in eine schmerzhafte Übelkeit. Mein Gott, was hatte die Zeit aus ihrer hübschen Nane gemacht?

5
    Jacqueline hatte keine Wahl. Sie musste Nane und Arminda in das Haus mit den Meeresspinnen folgen. Der Weg führte sie durch das Wohnzimmer, in dem bunt zusammengewürfelte Antiquitäten standen, die unter den verstaubten Büchern beinahe zusammenbrachen. Die Wände waren mit sonderbaren Gemälden dekoriert. Dann durchquerten sie den kleinen Flur, in dem tausend Bilder in vergilbten Rahmen hingen. Schließlich gelangten sie in die Küche, wo heißer, nach Fisch duftender Dampf aus den Töpfen quoll. Auf dem Weg vom Garten in die Küche hielt Jacqueline angestrengt nach einem Rettungsanker Ausschau. Eine Nippesfigur, eine Geste, eine Gewohnheit, irgendetwas, was ihr ins Ohr flüsterte, dass es gut gewesen war hierherzukommen. Vergebens.
    Sie setzten sich alle drei in die Küche. Auf der alten Wachstuchdecke standen zwischen den zahlreichen Küchengeräten und Werkzeugen – Hammer, Zange, Nussknacker – große Platten aus Jenaer Glas. Mittendrin lag eine rote Kreatur, der die Beine fehlten: die Meeresspinne. Nane setzte sich mit einem lauten Seufzer auf einen kleinen, zitronengelben Stuhl aus Resopal, auf dem eine löchrige Strickjacke lag. Arminda schob Jacqueline einen anderen Stuhl hin. Diese zuckte zusammen, als die
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