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Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
Autoren: Caroline Vermalle
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das
Präsent aus.
    Gesund durch richtige Ernährung lautete der Titel des Buches von Dr. Ruben. »Vielen
Dank. Das habe ich noch nicht.«
    »Da hast du aber Glück gehabt«, meinte Marcel. »Unsere Bibliothek steht voll solcher
Bücher. Ich frage mich wirklich, was es zu diesem Thema noch zu sagen gibt. Die schreiben doch
seit zwanzig Jahren immer denselben Quatsch.«
    »Danke, Renée, das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen«, murmelte Jacqueline mit einem
schüchternen Lächeln.
    Sie faltete das bunte Geschenkpapier sorgfältig zusammen und legte es in ihr neues
Buch. Renées Kuchen rührte sie kaum an, doch dafür langte Marcel ordentlich zu, sodass es
nicht weiter auffiel. Jacqueline servierte Kräutertee aus einer japanischen Teekanne in antike
Tassen. Dann setzte sie sich still zu ihren Freunden und überließ es den Männern und Renée,
sich laut zu unterhalten.
    23.28 UHR
    Jacqueline, die auf dem Bürgersteig in der Rue de Ker Huitel stand,
schlang die Strickjacke eng um ihren Körper. Das Scheinwerferlicht von Renées und Pauls Auto
blendete sie. Marcel drückte Paul die Hand, und Renéeließ ihr Fenster
herunter und rief: »Wir treffen uns dann nächste Woche, Jacqueline, in Ordnung? Danke für das
leckere Essen!«
    Jacqueline und Marcel kehrten ins Haus zurück. Zephyr wollte nun auch aufbrechen, aber Sie
wissen ja, wie das ist, wenn man diesen Wunsch nach Gesellschaft hat. Er konnte uns daher
berichten, dass Renée ein paar Straßen weiter zu Paul sagte: »Jacqueline hat wieder
abgenommen, findest du nicht?«
    »Sie war nie sonderlich dick«, erwiderte Paul.
    »Das stimmt. Sie macht sich aber anscheinend doch Sorgen wegen Marcels Prostata.«
    Zwei Straßen weiter bogen sie in die Einbahnstraße Saint-Sébastien ein. Sie waren zu Hause
angekommen. Dort gingen die beiden Pensionäre ihren abendlichen Beschäftigungen
nach. Schließlich küsste Renée Paul auf die Stirn.
    »Mach aber nicht mehr so lange, Paulo, ja?«
    »Nein, nein.« Paul durchquerte das dunkle Wohnzimmer, ging an dem ausgeschalteten Fernseher
vorbei und knipste die Deckenlampe in einem kleinen Abstellraum an. Dort lagen in einer alten
Keksdose ein Schlüssel und eine Taschenlampe, die er beide herausnahm. Anschließend ging er
durch den düsteren Flur und öffnete die letzte Tür, die zu der schmalen Treppe mit der
niedrigen Decke führte. Er schaltete die Taschenlampe ein und stieg die zwanzig Stufen hinauf,
die an einer Tür ohne Schwelle endeten. Paul sperrte sie auf, schaltete das Licht ein, legte
die Taschenlampe auf ein Regal und schloss die Tür. Überall in dem Zimmer lagen Bücher, Karten
und Blättervoller Zahlen herum. Hier standen auch zwei große, alte Computer
sowie ein nagelneuer Laptop und mitten im Zimmer drei Teleskope. Paul zog die Vorhänge auf und
öffnete ein großes Fenster. Dann setzte er sich auf einen alten Bürostuhl und drehte sich zu
den Teleskopen um. Zu dieser späten Stunde, wenn andere ein Buch vom Nachttisch nahmen,
betrachtete Paul Charon gebannt den Maihimmel.
    00.09 UHR
    Jacqueline blickte durch das Dachfenster des Schlafzimmers
ebenfalls zu den Sternen hoch. »Krrr«, schnarchte Marcel. Der alte Wecker, der neben Marcels
Brille stand, tickte laut. Jacquelines Wecker auf der anderen Seite des Bettes tickte
auch. Beide Wecker machten Krach, aber nicht gemeinsam. Sie zeigten immer dieselbe Zeit
an. Kein Wecker ging vor oder nach, doch sie tickten niemals im selben
Takt. »Ticktick/tacktack, ticktick/tacktack.« Auch dann nicht, wenn sie gerade aufgezogen
worden waren. So war es eben.
    Jacqueline kannte die Umrisse der Gegenstände in einer Vollmondnacht genau. Auf der
Frisierkommode die Silhouette der weißen Porzellanhand, an der ihre Perlenkette hing. Die
Buchrücken hinter der ziselierten Glastür der kleinen Vitrine. Marcels Kleidung, die auf dem
mit Samt bezogenen Stuhl lag. An der Wand die Blumenbilder, der ovale Rahmen mit dem Foto
ihrer Eltern und in dem viereckigen Rahmen das Schwarz-Weiß-Foto ihrerHochzeit. Nachdem Jacquelines Blick über die Bilderrahmen gewandert war,
kehrte er immer wieder zu dem dunklen Dachfenster zurück. Zumindest leuchteten heute Nacht
Sterne am Himmel.
    Paul bereitete diese Nacht große Freude, doch das war bei Jacqueline nicht der Fall. Sie existierte noch immer. Das war alles. Wie dieser Tag, den sie vergessen wollte und über den sie niemals sprach, nicht einmal mit den Bilderrahmen. Hieß es nicht: »Morgen ist ein neuer Tag«? Nicht für sie. Jeder neue Tag
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