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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis
Autoren: Gary Paulsen
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beinahe überall landen konnte; mit diesem Pilot namens Jack oder Jim, der sich schließlich als ganz patenter Kerl erwiesen hatte. Immerhin hatte er Brian erlaubt allein das Flugzeug zu fliegen.
    Aber dieser Geruch! Anscheinend ließ der Pilot einen Wind nach dem andern. Brian spähte zu ihm hinüber. Er presste noch immer die Hand auf die Schulter, rieb sich den linken Arm, furzte und stöhnte. Ob der Mann etwas Unrechtes gegessen hat?, überlegte Brian.
    Frühmorgens war er mit seiner Mutter im Auto losgefahren, von New York City hinaus nach Hampton, wo das Flugzeug die Bohrgeräte übernehmen sollte. Es war eine schweigsame Fahrt, eine lange Fahrt fast ohne Unterhaltung. Zweieinhalb Stunden hatte er im Auto gesessen und aus dem Fenster gestarrt, ähnlich wie er jetzt aus dem Fenster des Flugzeugs starrte. Irgendwann, als sie schon längst aus der Stadt waren, hatte seine Mutter ihn angesehen.
    »Hör mal. Können wir uns nicht aussprechen? Können wir die Sache nicht klären? Willst du mir nicht sagen, was dich bedrückt?«
    Noch immer quälten ihn diese Wörter: Scheidung. Trennung. Das Geheimnis. Wie konnte er ihr sagen, was er wusste? Also hatte er geschwiegen. Stumm hatte er den Kopf geschüttelt und weiter mit leerem Blick auf die Landschaft gestarrt, während seine Mutter starr das Lenkrad umklammerte. Sie sprach erst wieder mit ihm, als sie den Flugplatz von Hampton beinahe erreicht hatten.
    Da griff sie nach hinten und zog vom Rücksitz eine Tüte hervor. »Da, sieh mal. Ich hab dir was mitgebracht. Für deine Ferien.«
    Brian nahm die Tüte und schaute hinein. Es war ein Beil; jene Sorte mit eisernem Schaft und einem gummibezogenen Handgriff. Die Klinge steckte in einem kräftigen Lederfutteral, das eine mit Messingnieten beschlagene Gürtelschlaufe hatte.
    »Du kannst es am Gürtel tragen«, sagte seine Mutter, ohne ihn anzusehen. Vor ihnen auf der Straße rollte ein Traktor und beim Überholen musste sie aufpassen. »Der Verkäufer im Laden meinte, du könntest es gut gebrauchen. In der Wildnis, weißt du, bei deinem Vater.«
    Papa, dachte er – nicht »mein Vater«. Mein Papa. »Vielen Dank. Wirklich nett von dir.« Sogar Brian spürte, wie hohl seine Worte klangen.
    »Zeig doch mal, wie es am Gürtel aussieht. Mach schon.«
    Am liebsten hätte er sich geweigert. Es war doch zu albern, mit einem Beil am Gürtel herumzulaufen! Am liebsten hätte er Nein gesagt. Doch ihre Stimme klang so verzagt, so verletzlich. Als könnte sie es nicht ertragen, wenn man ihr die Wahrheit sagte. Und Brian hatte ein schlechtes Gewissen, weil er auf der ganzen Fahrt noch kein Wort mit ihr gesprochen hatte. Trotz allem, was er von seiner Mutter wusste, trotz seiner Wut auf sie hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er auf der ganzen Fahrt geschwiegen hatte. Darum tat er ihr den Gefallen, schnallte den Gürtel auf und schob das rechte Ende durch die Lederschlaufe am Kopf des Beils.
    »Dreh dich um, damit ich es sehen kann.«
    Er drehte sich auf dem Beifahrersitz herum – und kam sich ziemlich albern vor.
    Sie nickte. »Ganz wie ein Pfadfinder. Mein kleiner Pfadfinder.« In ihrer Stimme lag jetzt die gleiche Zärtlichkeit wie damals, als er ein kleiner Junge war. Die gleiche Zärtlichkeit, mit der sie ihm die Hand auf die Stirn gelegt hatte, wenn er Fieber hatte, wenn er mit einer Erkältung im Bett lag. Tränen stiegen ihm in die Augen und er musste den Kopf abwenden. Den Rest der Fahrt saß er stumm auf dem Beifahrersitz und starrte blickleer aus dem Fenster. So kam es, dass das Beil noch immer an seinem Gürtel hing, als er ins Flugzeug kletterte.
    Das Flugzeug war nur ein Buschflieger – ein Privatflugzeug auf einem kleinen Provinzflugplatz. Darum gab es beim Abflug keine Sicherheitskontrollen. Die Maschine stand schon mit laufendem Motor bereit und Brian war aus dem Auto gesprungen, hatte sich seinen Rucksack geschnappt und war über die Startbahn gelaufen, ohne das Beil abzuschnallen.
    Jetzt hing es noch immer an seinem Gürtel. Zuerst war es ihm peinlich gewesen: ein kindliches Spielzeug! Der Pilot hatte jedoch nichts gesagt und Brian vergaß die ganze Sache, nachdem das Flugzeug sich in die Luft geschwungen hatte.
    Aber, oh! Dieser fürchterliche Gestank. Was war nur mit dem Piloten los? Beschämt starrte Brian hinüber zu dem Mann, der beide Hände auf seinen Bauch drückte und qualvoll sein Gesicht verzog. Als er Brians Blick spürte, presste er wieder die Hand auf die linke Schulter.
    »Ich weiß nicht, Junge
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