Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)

Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)

Titel: Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
Autoren: Roberto Zapperi
Vom Netzwerk:
Er stellt sie nie in ein günstiges Licht. Delicado war ein Dichter, für den nur die unverzichtbaren Werte der Literatur galten. Deshalb beschreibt er die Juden so, wie er sie sah, inmitten ihrer Tätigkeiten und Geschäfte.
    Das beredteste Zeugnis für diese Haltung ist die Figur des Trigo, eines «gerissenen Juden». Auch er ist historisch dokumentiert. Der kastilische Trödler Semaio Trigo wohnte, wie wir aufgrund der römischen Volkszählung von 1526 wissen, im Rione Ponte als Vorstand eines Haushalts mit weiteren fünf Personen. Delicado präsentiert ihn als einen geschickten Kaufmann, der nur Seidenstoffe verkauft, nicht zu verwechseln mit dem Trödler nebenan, der nur Lumpen und Kerzenstummel feilbietet. Trigo ist es gelungen, sich Protektion an hohem Ort zu verschaffen, weshalb er von der Pflicht befreit ist, den gelben Stern, das Kennzeichen der Juden, zu tragen, wie es eine alte päpstliche Bulle vorschrieb. An ihn wendet sich nun Lozana, um mit seiner Hilfe und Garantie für sich eine Mietwohnung mit dem nötigen Mobiliar zu finden. Man hat ihr geraten, gleich mit Gold zu winken, und als Trigo dieses magische Wort hört, ist er wie elektrisiert und bietet Lozana sofort seine Dienste an. Diese zeigt ihm das Schmuckstück, das sie verkaufen möchte, und Trigo verspricht, einen Käufer dafür zu finden. Nun beginnt das große Feilschen, was Trigos Interesse und Sorge verrät, den höchstmöglichen Preis für seine Vermittlung herauszuschlagen. Die Verhandlungen enden mit der Gewährung eines mageren Vorschusses in der Erwartung eines guten Käufers, der sich nie zeigen wird. Delicado beschreibt Trigo also letztlich als den klassischen Betrüger, und es fällt dabei nicht ins Gewicht, dass er ein Jude ist wie er selbst. Nach dem gelungenen Coup ist Trigo auch gleich bereit, sich mit dem Anliegen Lozanas zu befassen und ihr eine Unterkunft zu beschaffen, die er ihr mit den Worten vorstellt: «Sie ist vollkommen in Ordnung und für sechs Monate bezahlt.» Er fügt noch hinzu, dass er ihr sofort jemanden schicken wird, der die von Trigo vorgestreckte Miete und dazu das Abendessen bezahlt. In der Tat erscheint kurz darauf ein Herr, der als «Kämmerer» bezeichnet wird und tatsächlich alle Kosten übernimmt, weil er Lozanas Liebesdienste in Anspruch nimmt. Als erfahrener Zuhälter schickt Trigo noch viele andere betuchte Herren zu Lozana, sodass diese durch ihn in den Kreis der ehrenwerten römischen Kurtisanen eintritt. Wegen ihrer außergewöhnlichen Schönheit und ihrer vornehmen Manieren ist die Nachfrage nach ihrer Gesellschaft sehr groß.
    Neben den Juden interessieren Delicado also auch die Kurtisanen, denn sie sind Teil eines komplexen Ganzen, jenes «babylonischen» Roms, in dem jeder tut, was er will: «In Rom herrscht Freiheit. Jeder tut, was ihm beliebt, mag es gut oder schlecht sein. Wenn irgend jemand in Gold oder Seide gekleidet oder ganz nackt und barfuß, essend, lachend oder singend spazierengehen will, wird ihm niemand sagen, mag es noch so viele Augenzeugen haben: Ihr tut gut oder Ihr tut schlecht. Die Freiheit bedeckt aber viele Übel. Glaubt Ihr, man nennt umsonst Rom Babylon oder vielmehr wegen der Unordnung, die diese Freiheit verursacht? Seht Ihr nicht, daß man Rom eine Kurtisane nennt, weil es der Mantel ist, in den sich die Sünder hüllen? Daran sind besonders, um die Wahrheit zu sagen, die Fremden schuld; die Eingeborenen haben aber wenig vom alten Charakter, und so kommt es, daß Rom die Prostituierte und Konkubine der Fremden wird; wenn man ‹wehe› sagt, tut man recht.» In Delicados Sicht ist ganz Rom ein Bordell, im wahren wie im übertragenen Sinn. Das römische Volk respektiert kein Gesetz und keine Regeln; Diebstahl und Betrug sind an der Tagesordnung, jeder arrangiert sich, wie er kann, während die Justiz sich nur zeigt, wenn Steuern einzutreiben sind, selbst von den ärmsten Kurtisanen. Rom ist ein Freudenhaus, denn die Prostituierten, die aus ganz Europa nach dort strömen, sind ungleich zahlreicher als in jeder anderen italienischen Stadt. Am Ende des Romans nennt Delicado die enorme Zahl von 30.000 Huren mit 9000 Zuhältern. Kein Historiker hat diese Zahlen ernst genommen. Tatsache ist jedoch, dass die Zahl der Kurtisanen in Rom ungewöhnlich hoch war. Nach den Berechnungen von Monica Kurzel-Runtscheiner, die das Kurtisanenwesen sehr gründlich erforscht hat, bildeten die Prostituierten zur Zeit Delicados ein Zehntel der römischen Bevölkerung, was in der Tat
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher