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Alle Tränen dieser Erde

Alle Tränen dieser Erde

Titel: Alle Tränen dieser Erde
Autoren: Brian W. Aldiss
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Einfallskraft bis zu ihr geführt hatte, ließ sie ihn im Stich, und er stand hilflos da. Er war ein magerer junger Mann, mager und sehnig, mit abgewetzter Kleidung und ungepflegtem Bart.
    »Wie hast du mich gefunden?« fragte Ployploy. Ihre Stimme reichte im Gegensatz zu der des wilden Mannes kaum bis zu Smithiao. Ein seltsamer Ausdruck, launisch wie der Herbst, spielte über ihr Gesicht.
    »Es war eine Art Instinkt – so, als hörte ich dich rufen«, sagte der wilde Mann. »Alles, was an der Welt überhaupt falsch sein kann, ist falsch… Vielleicht bist du die einzige Frau auf der Erde, die liebt; vielleicht bin ich der einzige Mann, der antworten könnte. So bin ich gekommen. Es war natürlich; ich konnte mir nicht helfen.«
    »Ich habe immer davon geträumt, daß jemand kommt«, sagte sie. »Und seit Wochen habe ich gespürt – gewußt – daß du kommst. Oh, mein Liebling…«
    »Wir müssen schnell sein, Süßes«, sagte er. »Ich habe einmal mit Robotern gearbeitet – vielleicht hast du sehen können, daß ich sie kenne. Wenn wir von hier verschwinden, habe ich ein Roboterflugzeug, das uns sofort fortbringt – irgendwohin, vielleicht auf eine Insel, wo es nicht so trostlos ist. Aber wir müssen gehen, bevor die Maschinen deines Vaters zurückkommen.« Er trat einen Schritt auf Ployploy zu.
    Sie hob die Hand.
    »Warte!« flehte sie ihn an. »So einfach ist das nicht. Du mußt noch etwas erfahren… Das – Paarungszentrum hat mir das Recht zur Fortpflanzung abgesprochen. Du solltest mich nicht berühren.«
    »Ich hasse das Paarungszentrum!« sagte der wilde Mann. »Ich hasse alles, was mit dem herrschenden Regime zu tun hat. Nichts, was die Leute getan haben, berührt uns noch.«
    Ployploy hatte die Hände hinter dem Rücken verkrampft. Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Ein Schauer toter Rosenblätter fegte an ihr Kleid und verspottete sie.
    »Es ist so aussichtslos«, sagte sie. »Du verstehst nicht…«
    Seine Wildheit war demütig geworden.
    »Ich habe alles hingeworfen, um zu dir zu kommen«, sagte er. »Ich wünsche mir nur, dich in die Arme zu nehmen.«
    »Ist das alles, wirklich alles, was du dir auf der Welt wünschst?« fragte sie.
    »Ich schwöre es«, sagte er schlicht.
    »Dann komm und berühre mich«, sagte Ployploy.
    Das war der Augenblick, in dem Smithiao die Träne in ihrem Auge glitzern sah.
    Die Hand, die der wilde Mann nach ihr ausstreckte, hob sich zu ihrer Wange. Sie stand ruhig auf der grauen Terrasse, den Kopf hoch erhoben. Und so berührte die lebende Hand ihr Antlitz. Die Explosion geschah fast im selben Augenblick.
    Fast. Die verräterischen Nerven in Ployploys Haut brauchten nur den Bruchteil einer Sekunde, um die Berührung als die eines anderen Menschen zu analysieren und den Fund an das Nervenzentrum weiterzumelden; dort reagierte die vom Paarungszentrumin alle Abgewiesenen eingepflanzte Nervenblockade, die gegen solche Zwischenfälle vorhanden war, auf der Stelle. Jede Zellein Ployploys Körper entlud ihre Energie in einem alles verzehrenden Ausbruch. Das war so erfolgreich, daß auch der wilde Mann von der Detonation getötet wurde.
    Ja, dachte Smithiao, man mußte zugeben, daß das eine elegante Lösung war. Und auch logisch. Wie hindert man in einer Welt am Abgrund des Hungers Unerwünschte sonst daran, sich fortzupflanzen? Logik gegen Logik, die des Menschen gegen jene der Natur, das war es, was alle Tränen dieser Erde verursachte.
    Er entfernte sich durch die tropfende Plantage, ging zurück zum Fluggerät, bestrebt, fortzukommen, bevor die Roboter wieder auftauchten. Die zerfetzten Körper auf der Terrasse waren still, schon halb bedeckt mit Blättern und Blüten. Der Wind brauste in den Baumwipfeln wie eine riesige, triumphierende See. Es war kaum merkwürdig, daß der wilde Mann von dem neurologischen Auslöser nichts wußte; nur wenige Menschen kannten ihn, abgesehen von den Psychodynamikern und dem Paarungs-Rat – und natürlich den Abgewiesenen selbst. Ja, Ployploy hatte gewußt, was geschehen würde. Sie hatte genau auf diese Art sterben wollen.
    Hab’ ja immer gesagt, daß sie verrückt ist! dachte Smithiao. Er lachte in sich hinein, als er in seine Maschine stieg und den Kopf über ihren Wahnsinn schüttelte.
    Beim nächstenmal, wenn Charles Gunpat eine Haß-Stütze brauchte, würde das ein idealer Punkt sein, um ihn zu ärgern.

Kurze Unsterblichkeit
     
     
     
    Die Empfindung, die Tindale hatte, den seltsamen Virus in den Adern, daß die Welt
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