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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition)
Autoren: Terézia Mora
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Schluss war.

    Und natürlich war es auch jetzt wieder so, als er endlich auftauchte. Er trug trotz der Hitze den alten, schwarzen Trench, der ihm (die Zugluft?) hinterher flatterte, obwohl er diesmal nicht in der üblichen fluchtartigen Geschwindigkeit unterwegs war, lange Schritte, gebeugter Oberkörper, sondern im Gegenteil: langsam und steif. Er zog ein Bein hinterher. Er kam den Flur heraufgehinkt, der flinken Anwältin etwas hinterher. Schweißnass, auch das passte. Neu waren: die Abschürfung am Kinn, das Hämatom am rechten Jochbein, eine Beule am Hinterkopf, sowie das bereits erwähnte Hinken. Die Haare strähnig, die hastige Rasur hat Stoppelgrüppchen stehen lassen, am Ohr und am Hals glitzerte etwas – alles in allem sah er aus, wie frisch einer Straßenschlägerei entstiegen. Aber die Stimme war noch die alte, überhaupt das Einzige an ihm, das dem Eindruck der allgemeinen und zunehmenden Desolation immer entgegenstand. Nie zuvor habe ich meine Muttersprache, die nicht seine ist, so perfekt gesprochen gehört, und das, obwohl er kein Wort mehr sagte, als unbedingt nötig, diesmal zwei:
    Hallo. Mercedes.
    Zehn Minuten sind noch vom Termin, sagte die Anwältin. Beeilen wir uns.

Die unbekannte Größe
    Gerade als seine Verzweiflung am größten war und er, nach Stunden oder vielleicht Tagen irren Schmerzes schließlich soweit, sich auf das klamme Linoleum zwischen Badewanne und Kloschüssel zu knien und zu seinem Gott zu flehen, er möge ihm verzeihen, was er bald tun würde, und ihm helfen, es zu tun, am Vorabend seines seit langem geplanten Selbstmordes verschwand der Chaosforscher Halldor Rose, von einem Kongress kommend, aus einem fliegenden Flugzeug. Drei Tage später sah man ihn auf einer Brücke stehen. Er sah den Wolken hinterher, die in einem langen Keil davonzogen. Als er ihnen hinterher winkte, blieb auf der anderen Straßenseite ein Psychiater namens Adil K. stehen, überquerte nach kurzem Zögern die Fahrbahn und sprach den Physiker an. Halldor R. teilte mit, er sei vor drei Tagen leibhaftig zum Himmel gefahren und sei gerade eben wieder abgesetzt worden, auf dieser Brücke.
    Auf die Frage, wieso er denke, er sei zum Himmel gefahren, antwortet er, er denke es nicht, er wisse es.
    Auf die Frage, welcher Himmel es gewesen sei, antwortet er: Was meinen Sie mit welcher Himmel?
    Auf die Frage, wie es dort gewesen sei, antwortet er, das könne er leider nicht sagen.
    Auf die Frage, ob er wisse, warum er zum Himmel gefahren sei, antwortet er: Natürlich, wegen der Friedfertigkeit. Weil er der friedfertigste Mensch auf Erden sei.
    Auf die Frage, warum er zurückgekehrt sei, antwortet er: Aus demselben Grund. Ich bin wiedergekommen als leibhaftiger Beweis dafür, dass die friedfertige Liebe das durch Gott an uns verliehene höchste Gut ist, und jede Handlung zuwider eine Beleidigung der Schöpfung und somit ein Anschlag auf Gott.
    Auf die Frage des Paters Y.R., ob Gott noch etwas anderes gesagt habe, antwortet er: Gesagt habe Gott gar nichts, Gott bedürfe der Sprache nicht. Er habe ihm lediglich diese Gewissheit ins Bewusstsein gelegt.
    Auf die Frage, ob das alles gewesen sei, antwortet er: Ja. Das heißt, soviel müsse er noch hinzufügen, dass er die ganze Zeit bei klarem Bewusstsein gewesen sei, ja sogar bei sehr klarem, ohne die üblichen chaotischen Trübungen seines Denkens und Empfindens. (Denkt nach.) Wie vor der Geburt oder nach dem Tod. In etwa. Die Fragen seien nicht beantwortet gewesen, es habe vielmehr überhaupt keine Fragen gegeben. Auch das Stückwerk Zeit habe es nicht gegeben. Er sei erstaunt zu hören, dass inzwischen drei ganze Tage vergangen sein sollen. Dieses, dass die Zeit keine Rolle spielte, sei für ihn als Naturwissenschaftler eine ganz besondere Erfahrung gewesen. Möglicherweise müsse er vieles neu bedenken. Deswegen möchte er auch so bald wie möglich zurück an die Arbeit, wenn die Herrschaften nichts dagegen hätten.
    Was aus der Verkündigung der Friedfertigkeit werden solle?
    Das wisse er auch nicht. Er habe diese beiden Sachen mitbekommen: Die Friedfertigkeit und die Frage nach der Zeit. Gott ließe einem die freie Wahl, welchen Fragen man sich in seinem Leben widmen möchte. Er, als Wissenschaftler, habe sich gerade dafür entschieden, der Frage nach der Zeit nachzugehen. Die Friedfertigkeit könnte vielleicht der Herr Pater …
    Worauf Pater Y.R. erwiderte - - -

    Panik ist nicht der Zustand eines Menschen. Panik ist der Zustand dieser Welt. Alles mal die
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