Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Titel: Alissa 1 - Die erste Wahrheit
Autoren: Dawn Cook
Vom Netzwerk:
Haar. Ihre Finger zitterten, und sie blickte bekümmert drein. »Ich habe zu lange damit gewartet, dich loszuschicken«, flüsterte sie. »Ich wollte es nicht wahrhaben. Dein Papa hat gesagt, die Reise dauere einen Monat, und du musst es bis dorthin schaffen, bevor es schneit.«
    »Du willst mich wegschicken, wegen eines Ammenmärchens?«, rief Alissa ungläubig.
    Stumm zog ihre Mutter einen kleinen Beutel aus der Schürzentasche und hielt ihn ihr widerstrebend hin. Alissa hatte das Beutelchen noch nie gesehen und war sicher, dass es sich um ein Erinnerungsstück aus der Kindheit ihrer Mutter handeln musste; die Initialen, die daraufgestickt waren, waren die ihres Mädchennamens. Zögerlich nahm Alissa es an und spürte die schwere Last der Ungewissheit in ihrer Hand. Das Beutelchen verströmte einen Geruch, fremdartig und ein wenig ekelhaft, der im Hals kratzte. »Was ist das?«, fragte sie und verzog das Gesicht ob des Gestanks.
    »Dein Erbe.« Ihre Mutter beugte sich vor und kniff die Augen zusammen. »Nur zu. Öffne es.«
    Auf ein weiteres ermunterndes Nicken hin zupfte Alissa an den Knoten der Bänder, die den Beutel verschlossen. Schließlich lösten sie sich, und sie lugte hinein. »Asche!«, rief sie, riss den Kopf zurück und bemühte sich, nicht zu würgen. Der Gestank war so scharf, dass ihr die Augen tränten und ihre Kehle wie zugeschnürt war. Fisch, eingewickelt in vergammelten Kohl, einen Sommer lang am Grund eines Abwassergrabens gelagert, kam der Sache nicht einmal nahe. Alissa konnte nicht sehen, was das Beutelchen enthielt, weil ihr Tränen aus den Augen rannen. Das war schlimmer als die Heilsalbe ihrer Mutter, falls so etwas überhaupt möglich war. »Was ist das?«, keuchte sie, sobald sie wieder genug Luft bekam, um zu sprechen.
    Ihre Mutter sank in sich zusammen. »Bein und Asche«, flüsterte sie. »Jetzt ist es eindeutig. Im Garten einzuschlafen, darüber könnte ich noch hinwegsehen, aber dies?« Sie holte tief Luft und schloss die Augen. Alissa erschauerte, als sie die Augen wieder öffnete. Ihre Mutter sah alt aus. Zum ersten Mal sah ihre Mutter wahrhaftig alt aus. »Du musst gehen«, sagte sie mit schwacher Stimme, nahm Alissa das Beutelchen ab und band es wieder zu. »Jetzt. Es war ein Fehler von mir, dich so lange hierzubehalten.«
    »Aber was ist das denn?«
    Langsam sank ihre Mutter auf einen Stuhl. »Staub. Dein Papa hat gesagt, das sei dein Erbe.«
    »Mein Erbe? Ein Häufchen stinkender Staub soll mein Erbe sein? Kann ich nicht lieber eine Ziege haben?«
    Ihre Mutter schürzte die Lippen, runzelte die Brauen und glich für einen Augenblick wieder der Mutter, die Alissa kannte. »Nicht so respektlos, Alissa. Das ist von deinem Papa. Er hat gesagt, es würde dich von der Schuld der Verpflichtung befreien. Er hat es in dem Krug aufbewahrt, in dem ich auch meine Heilsalbe lagere, aber er hat gesagt, du solltest es stets bei dir tragen, wenn du gehst, und da dachte ich, das Beutelchen wäre praktischer.«
    Alissa reckte trotzig das Kinn. »Ich gehe nicht.«
    »Hier.« Ihre Mutter band die Schnur zusammen und hängte Alissa das Beutelchen um den Hals.
    Alissa blickte auf den ungewohnten Klumpen hinab. Der Beutel war gut gefertigt. Wenn das Band zugezogen war, drang der Geruch nicht heraus. »Mutter«, protestierte sie und machte Anstalten, ihn wieder abzunehmen. »Ich bin keine Bewahrerin. Papa war kein Bewahrer. Es gibt überhaupt keine Bewahrer, und auch keine Meister und keine Feste. Und ich will dieses Ding nicht tragen. Es stinkt!«
    Ihre Mutter legte beide Hände auf ihre und hinderte sie daran, den Beutel abzulegen. »Ich kann nichts riechen, Alissa. Aber dein Papa konnte es.«
    In Alissa wirbelten die ersten Anflüge von Panik auf, und sie schluckte schwer. »Das ist doch lächerlich. Ich gehe nicht. « Es schnürte ihr die Kehle zu. »Wenn du mich nicht mehr willst, dann – dann gehe ich irgendwohin, aber erwarte nicht von mir, das zu glauben!«
    Die Augen ihrer Mutter weiteten sich. »Natürlich will ich nicht, dass du weggehst, aber du gehörst auf die Feste. Fast zwanzig Jahre lang warst du mein Kind, aber sieh dich nur an.« Sie runzelte die Stirn und strich erneut mit der Hand durch Alissas Haar, als wolle sie es ordnen. »Ich kann es nicht mehr ignorieren. Du bist nächtelang auf und starrst in den Himmel. Die Feste ruft nach dir, und ihr Ruf ist so stark wie bei deinem Papa. So war es jedes Mal, kurz bevor er gegangen ist – er lag nachts wach, bis er dachte, ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher