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Alicia

Alicia

Titel: Alicia
Autoren: Jude Deveraux
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um.
    »Diese englischen Schweine! « fluchte sie leise. Doch ihre Stimme war sanft und schwermütig wie das Hochland, über dem Nebel gebreitet liegt. Schwere Schritte waren vor der Tür zu hören, und sie hielt den Atem an, bis sie draußen wieder verhallten. Sie war eine Gefangene, in Gewahrsam jener Männer im nördlichsten Grenzland von England, die sie immer gehaßt hatte und die ihr nun zublinzelten, als kennten sie ihre intimsten Gedanken.
    Sie ging zu dem kleinen Tisch in der Mitte des eichengetäfelten Zimmers und klammerte sich daran, bis die Tischkante tief in ihre Handflächen schnitt. Die Engländer waren ihre Feinde. Sie war dabeigewesen, als sie ihren Vater und seine drei Häuptlinge töteten. Sie hatte mitansehen müssen, wie ihr Bruder in dem vergeblichen Bemühen, es den Engländern mit gleicher Münze heimzuzahlen, fast dem Wahnsinn verfallen wäre. Und ihr ganzes Leben lang hatte sie mitgeholfen, die Mitglieder ihres Klans mit Kleidung und Nahrung zu versorgen, weil die Engländer ihre Ernte vernichtet und ihre Häuser niedergebrannt hatten.
    Vor einem Monat hatten die Engländer sie gefangengenom men. Sie lächelte bei der Erinnerung an die Wunden, die sie und ihre Männer den englischen Soldaten zugefügt hatten. Vier von ihnen erlagen später diesen Verletzungen.
    Doch schließlich war sie der Übermacht erlegen. Es war ein Befehl des englischen Königs, Heinrich VII., der sie hier festhielt. Er wollte Frieden stiften, hatte dieser Mann behauptet, und deshalb einen Engländer zum Chef des Klans MacArran ernennen. Er glaubte das erreichen zu können, indem er sie mit einem seiner Ritter verheiratete.
    Sie lächelte über die Dummheit dieses englischen Königs. Sie war Chefin des Klans MacArran, und kein Mann konnte ihr diese Macht wegnehmen. Bildete sich dieser König ein, ihre Gefolgsleute würden sich lieber einem Fremden, gar einem Engländer, unterordnen, nur weil er ein Mann war und sie eine Frau? Wie wenig kannte sich dieser Dummkopf mit der Wesensart der Schotten aus!
    Sie drehte sich rasch zur Tür, als Rab zu knurren anfing. Rab war ein irischer Wolfshund, der größte Vertreter seiner Rasse, schlank, aber ungemein kräftig, mit einem Fell, das sich anfühlte wie Wolle aus Stahl. Ihr Vater hatte ihn von einer Reise nach Irland mitgebracht. Jamie wollte ihn zum Schutzhund seiner Tochter abrichten lassen. Doch das war nicht nötig gewesen, weil Rab und Alicia auf Anhieb unzertrennliche Freunde wurden. Und Rab hatte mehr als einmal bewiesen, daß er bereit war, für seine geliebte Herrin sein Leben zu opfern.
    Alicias Verkrampfung löste sich sofort, als der Hund wieder verstummte. Das war das Zeichen, daß ein Freund sich der Tür näherte. Sie sah erwartungsvoll auf. Morag kam ins Zimmer.
    Morag war eine kleine, verschrumpelte alte Frau. Sie erinnerte eher an einen Wurzelstock als an eine menschliche Gestalt. Ihre Augen waren wie schwarzes Glas, deren durchbohrender Blick mehr sah als nur die Oberfläche eines Menschen. Ihr kleiner Wuchs und ihre Geschmeidigkeit nützte sie oft zum Vorteil ihrer Herrin aus, wenn sie unbemerkt durch, eine Menge schlüpfte und Augen und Ohren aufsperrte.
    Morag bewegte sich lautlos durchs Zimmer und öffnete wieder das Fenster.
    »Nun? « forschte Alicia ungeduldig.
    »Sie lachten nur, als Ihr das Fenster zugeworfen habt. Sie sagten, sie wollten Euch gern für Eure entgangene Hochzeitsnacht entschädigen. «
    Alicia wandte sich schnell von der alten Frau ab.
    »Ihr liefert ihnen zu viel Stoff zum Klatschen. Ihr solltet den Kopf hochhalten und sie gar nicht beachten. Es sind nur Engländer, aber Ihr seid eine MacArran. «
    Alicia wirbelte herum. »Ich brauche keine Belehrungen, wie ich mich zu verhalten habe! « schnaubte sie. Rab trat an ihre Seite, als er die Erregung seiner Herrin spürte. Sie vergrub die Finger in seinem Fell.
    Morag lächelte nur. Sie hatte Alicia auf den Armen gehalten, als sie noch naß war von ihrer Geburt. Sie hatte sie auf ihren Armen gewiegt, als sie zusehen mußte, wie ihre Mutter starb. Sie hatte ihr eine Amme besorgt, die sich um die Kleine kümmerte, bis sie sechs Jahre alt war und ihr Vater die Erziehung übernahm.
    Nun betrachtete sie voller Stolz ihr Mündel, das inzwischen fast Zwanzig war. Sie war groß, größer als die meisten Männer, und so rank und schlank wie eine Weidengerte. Sie trug keine Kopfbedeckung wie die Engländerinnen, sondern ließ ihr rabenschwarzes Haar in üppigen Wellen über den Rücken fließen.
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