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Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Titel: Alcatraz und die dunkle Bibliothek
Autoren: Brandon Sanderson
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jetzt lass uns gehen. Die Bibliothekare sind wahrscheinlich schon dabei, den Sand zu bearbeiten.«
    »Und?«
    »Und!«, rief der alte Mann entrüstet. »Junge, mit diesem Sand könnten sie Königreiche vernichten, Kulturen zerstören, die Welt beherrschen! Wir müssen ihn uns zurückholen. Wir werden schnell zuschlagen müssen, und das wahrscheinlich unter Einsatz unseres Lebens. Aber das ist eben die Art der Smedrys!«
    Ich ließ die Aktentasche sinken. »Wenn Sie das sagen.«
    »Bevor wir gehen, muss ich wissen, wo deine Stärken liegen. Was ist dein Talent, Junge?«
    Wieder ein Stirnrunzeln meinerseits. »Talent?«
    »Ja, jeder Smedry hat ein Talent. Welches hast du?«
    »Äh … Oboe spielen?«
    »Jetzt ist nicht die Zeit für Scherze, Junge! Das ist eine ernste Angelegenheit! Wenn wir diesen Sand nicht zurückbekommen …«
    »Na ja«, sagte ich seufzend, »ich bin ziemlich gut darin, Sachen kaputt zu machen.«
    Grandpa Smedry erstarrte.
    Vielleicht sollte ich den alten Mann nicht so vera…lbern, dachte ich schuldbewusst. Er mag ja ein Irrer sein, aber das ist noch lange kein Grund, mich über ihn lustig zu machen.
    »Sachen kaputt machen?«, vergewisserte sich Grandpa Smedry schließlich, und seine Stimme klang ehrfürchtig. »Dann ist es also wahr. Ein solches Talent ist seit Jahrhunderten nicht mehr aufgetreten …«
    »Warten Sie«, unterbrach ich ihn und hob abwehrend die Hände. »Das war nur ein Witz. Ich wollte nicht …«
    »Ich wusste es!«, fiel mir Grandpa Smedry begeistert ins Wort. »O ja, dadurch steigen unsere Chancen beträchtlich! Komm jetzt, Junge, wir müssen uns beeilen.« Er drehte sich um, verließ das Zimmer und lief mit seiner Aktentasche eilig die Treppe hinunter.
    »Warten Sie!«, rief ich noch einmal und stürzte hinter ihm her. Als ich die Haustür erreicht hatte, blieb ich jedoch abrupt stehen. In der Einfahrt parkte ein Auto. Ein altes Auto. Nun, wenn ihr »altes Auto« lest, denkt ihr wahrscheinlich an ein verbeultes, verrostetes Gefährt, das nur mit Mühe überhaupt noch anspringt. Eben ein Auto, das in der Art alt ist, wie Tonbandkassetten alt sind.
    Das hier war nicht so ein Auto. Es war nicht alt, wie Kassetten alt sind – es war noch nicht einmal alt, wie Schallplatten alt sind. Nein, dieses Auto war auf eine Weise alt, wie Beethoven alt ist. Oder zumindest schien es so. Für mich – und wahrscheinlich für die meisten von euch, die in den Ländern des Schweigens leben – sah es aus wie ein Oldtimer. Wie so ein Ford Modell T.
    Aber das war nur mein erster Eindruck.
    Mir ist wichtig zu sagen, dass die meisten ersten Eindrücke, die man von etwas – oder jemandem – bekommt, falsch sind. Oder zumindest unvollständig. Nehmen wir zum Beispiel den jungen Alcatraz Smedry. Nun, wo ihr meine Geschichte bis zu diesem Punkt verfolgt habt, habt ihr bestimmt einen gewissen Eindruck von mir bekommen und eure Schlüsse daraus gezogen. Vielleicht empfindet ihr – trotz meiner redlichen Bemühungen – ein gewisses Mitgefühl für mich. Immerhin taugen Waisen normalerweise hervorragend für die Rolle des sympathischen Helden.
    Vielleicht denkt ihr auch, dass ich nur deswegen so sarkastisch bin, weil ich dadurch meine Unsicherheit kaschieren will. Oder vielleicht habt ihr für euch entschieden, dass ich gar kein grausamer Junge war, sondern nur ein ziemlich verwirrter. Oder ihr habt vielleicht beschlossen, dass mir, auch wenn ich Gleichgültigkeit vortäusche, in Wirklichkeit das Beschädigen von Dingen furchtbar unangenehm war.
    Ganz offensichtlich habt ihr ein sehr schlechtes Urteilsvermögen. Hiermit möchte ich euch bitten, keinerlei Schlüsse zu ziehen, zu denen ich euch nicht ausdrücklich auffordere. Das ist eine wirklich schlechte Angewohnheit, und sie macht Autoren ziemlich sauer.
    Ich war nichts von dem, was ihr euch vorstellt. Ich war einfach ein rücksichtsloser Junge, den es kein bisschen interessierte, ob er Küchen abfackelte oder nicht. Und genau dieser rücksichtslose Junge stand nun auf der Türschwelle und beobachtete, wie Grandpa Smedry ihn durch heftiges Winken aufforderte, ihm zu folgen.
    Nun ja, ich muss zugeben, dass ich möglicherweise ein kleines Ziehen spürte, das Sehnsucht gewesen sein mochte. Eine Art … Wunschdenken, könnte man sagen. Dieses Päckchen, das angeblich von meinen Eltern stammte, hatte mich an längst vergangene Zeiten erinnert – Zeiten, bevor ich mir klargemacht hatte, wie dumm das war –, in denen ich mich danach gesehnt hatte, meine
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