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Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Titel: Alcatraz und die dunkle Bibliothek
Autoren: Brandon Sanderson
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wenig übertrieben. Meine persönliche Sachbearbeiterin hätte gut aussehen können, wenn sie nicht ständig diese grauenhafte Hornbrille getragen hätte. Hinzu kam der Dutt, in den sie ihre Haare zwängte, sodass sie fast ebenso straff gespannt waren wie ihre frustriert zusammengepressten Lippen. Heute trug sie eine schlichte weiße Bluse und einen langen schwarzen Rock. Für sie war das ein gewagtes Outfit, wenn man bedachte, dass sie kastanienbraune Schuhe dazu trug.
    »Die Küche, Alcatraz?«, fragte sie. »Warum die Küche?«
    »Es war ein Unfall«, murmelte ich. »Ich wollte etwas Nettes für meine Pflegeeltern tun.«
    »Du dachtest also, du würdest Joan Sheldon – einer der besten und renommiertesten Gourmetköchinnen der Stadt – eine Freude machen, indem du ihre Küche anzündest?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich wollte nur das Abendessen kochen. Ich dachte eben, nicht einmal ich könnte bei Instantnudeln etwas falsch machen.«
    Ms. Fletcher prustete ungläubig. Dann erst betrat sie den Raum und ging kopfschüttelnd zu meinem Toilettentisch, wo ich das Päckchen abgelegt hatte. Sie piekte mit dem Zeigefinger in mein Erbstück und räusperte sich vielsagend, als sie das zerknitterte Papier und die ausgefranste Schnur begutachtete. Wenn es um Unordnung ging, war Ms. Fletcher ziemlich pingelig. Dann drehte sie sich zu mir um. »Uns gehen langsam die Familien aus, Smedry. Die anderen Paare hören Gerüchte. Bald bleiben uns keine weiteren Möglichkeiten mehr, um dich unterzubringen.«
    Ich schwieg und rührte mich nicht.
    Ms. Fletcher seufzte, verschränkte die Arme und tippte mit dem Zeigefinger ungeduldig auf ihren Unterarm. »Dir ist ja sicher bewusst, dass du vollkommen wertlos bist.«
    Und los geht’s, dachte ich bedrückt. Dieser Teil des Rituals war der unangenehmste. Ich starrte wortlos an die Decke.
    »Du hast weder Vater noch Mutter«, fuhr Ms. Fletcher fort, »und bist also ein Parasit des Systems. Man hat dir nicht nur eine, sondern eine zweite, eine dritte und nun sogar eine siebenundzwanzigste Chance gegeben. Und wie hast du diese Großzügigkeit honoriert? Mit Gleichgültigkeit, Respektlosigkeit und Zerstörungswut!«
    »Ich zerstöre nicht«, erwiderte ich ruhig, »ich beschädige. Das ist ein Unterschied.«
    Ms. Fletcher schnaubte angewidert durch die Nase, drehte sich um und zog mit einem Ruck die Tür hinter sich zu. Ich hörte, wie sie sich von den Sheldons verabschiedete und ihnen versprach, dass sie am nächsten Morgen ihren Assistenten schicken würde, damit er die Angelegenheit mit mir regelte.
    Es ist zu schade, dachte ich seufzend. Roy und Joan sind wirklich gute Menschen. Sie wären bestimmt tolle Eltern gewesen.

 
KAPITEL ZWEI
     
     
    Nun denkt ihr bestimmt an den Beginn des letzten Kapitels mit seinen Andeutungen über niederträchtige Bibliothekare, Altäre aus Enzyklopädien und diesem Gefühl von »O nein! Alcatraz wird gleich geopfert!«.
    Bevor wir dazu kommen, muss ich euch allerdings noch etwas erklären. Ich war schon so einiges in meinem Leben: Student, Spion, Topfpflanze. Doch jetzt bin ich etwas vollkommen anderes – und wesentlich Furcht einflößenderes als all das.
    Ich bin ein Autor.
    Vielleicht ist euch aufgefallen, dass ich meine Geschichte mit einer temporeichen, schicken Szene voller Gefahr und Spannung begonnen habe – und dann schnell zu wesentlich langweiligeren Ausführungen über meine Kindheit umgeschwenkt bin. Nun, das habe ich getan, weil ich euch etwas beweisen wollte: dass ich kein guter Mensch bin.
    Würde ein guter Mensch mit so einer aufregenden Szene anfangen und euch dann fast das gesamte Buch hindurch darauf warten lassen, dass ihr mehr darüber lesen könnt? Würde ein guter Mensch ein Buch schreiben, in dem euch Unwissenden in den Ländern des Schweigens die wahre Natur der Dinge enthüllt wird, und so euer Leben ins Chaos stürzen? Würde ein guter Mensch ein Buch schreiben, das beweist, dass Alcatraz Smedry, der größte Held der Freien Königreiche, nichts anderes war als ein böswilliger Teenager?
    Natürlich nicht.
    Am nächsten Morgen wachte ich schlecht gelaunt auf, völlig genervt von den dröhnenden Schlägen, die von der Haustür zu mir heraufdrangen. Ich stieg aus dem Bett und warf mir einen Bademantel über. Obwohl es bereits zehn Uhr war, war ich immer noch müde. Ich war lange aufgeblieben und hatte nachgedacht. Dann hatten Joan und Roy versucht, sich von mir zu verabschieden, aber ich hatte meine Zimmertür nicht
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