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Albert Schweitzer

Albert Schweitzer

Titel: Albert Schweitzer
Autoren: Peter Muenster
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Mensch. Damit meine ich nicht jenes Gehemmt- oder gar Verklemmtsein, das wir oft mit dem Wort „schüchtern“ assoziieren, sondern vielmehr die Neigung, sich selbst nicht hervortun zu wollen, sich auf sich selbst zurückziehen zu können, den Trubel und Lärm der Welt zu meiden, die Stille und Andacht zu schätzen und zu suchen. Wie oft sprach Schweitzer davon, dass er sich nach Zurückgezogenheit sehne, dass er gern Zeit für sich gehabt hätte zum Ausruhen, zur Besinnung. Der Ruhm, der sich mit zunehmendem Bekanntheitsgrad einstellte und mit der Verleihung des Friedensnobelpreises 1953 auf Weltebene seinen Höhepunkterreichte, war ihm eine schwere Bürde und Verpflichtung. Er hat ihn nicht gesucht. Vor einer größeren Menschenmenge zu reden, ist ihm auch noch in hohem Alter schwergefallen, kostete ihn jedes Mal innere Überwindung, weil er sich stets der Verantwortung bewusst war, dass seine Worte Wirkung haben würden.
    Dankbarkeit war ein zentraler Begriff in Schweitzers Leben. „Das Danken ist mir eine sehr ernste Sache“ schrieb er 1964 in einem Brief an seine Nichte Suzanne Oswald.
    Als Kind vergoss er bittere Tränen, wenn es an Weihnachten auf väterliche Weisung darum ging, die obligatorischen Dankesbriefe für erhaltene Geschenke zu schreiben. Dieser erzwungene Dank war unecht. Umso herzlicher und inniger klingt es, wenn Schweitzer als 49-Jähriger in seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen schrieb: „Blicke ich auf meine Jugend zurück, so bin ich vom Gedanken bewegt, wie vielen Menschen ich für das, was sie mir gaben und was sie mir waren, zu danken habe. Zugleich aber stellt sich das niederdrückende Bewusstsein ein, wie wenig ich jenen Menschen meiner Jugend von diesem Danke wirklich erstattet habe. Wie viele von ihnen sind aus dem Leben geschieden, ohne dass ich ihnen ausgedrückt habe, was die Güte oder die Nachsicht, die ich von ihnen empfing, für mich bedeutete! Erschüttert habe ich manchmal auf Gräbern leise die Worte für mich gesagt, die mein Mund einst dem Lebenden hätte aussprechen sollen.“
    Die fundamentalste Form der Dankbarkeit ist die Dankbarkeit dafür, dass wir überhaupt leben und unser Dasein letzten Endes Gott verdanken. Wir vergessen oft, dass wir dankbar sein sollen und können. Wir neigen oft dazu, unser Leben und unsere Gesundheit als etwas Selbstverständliches hinzunehmen und vergessen darüber den Dank für unsere Existenz.
    Albert Schweitzer hat aus diesem Grundgefühl der Dankbarkeit gelebt. Und dieser Dank war tief empfunden und aufrichtig. Sein humanitäres Lebenswerk in Lambarene wäre auf Dauer nicht haltbar gewesen ohne die selbstlose Hilfe und Unterstützung von Freunden, Mitarbeitern, Gönnern. Das wusste er natürlich, und deshalb ist er nicht müde geworden, für alles, was ihm an ideeller und materieller Hilfe zuteil wurde, seine herzliche Dankbarkeit zu bekunden. Liest man seine Berichte aus Lambarene, seine Briefe, so stößt man immer wieder auf die von ihm geäußerte Dankbarkeit, die er gegenüber den unzähligen bekannten und anonymen Helfern empfand. In einer seiner „Straßburger Predigten“, gehalten im Jahre 1919, konnte Albert Schweitzer sagen: „Das Größte ist danken für alles; wer das gelernt hat, der weiß, was Leben heißt.“
    Wer sich auch nur ein wenig mit Schweitzers Leben und Werk auseinandersetzt, der weiß, dass solche Worte nichts Floskelhaftes an sich haben, sondern aus einer zutiefst dankbaren Menschenseele kommen.
    Will man das Bild von der Persönlichkeit Schweitzers abrunden, so darf eine wichtige Eigenschaft nicht unerwähnt bleiben: Der Urwalddoktor war ein Mann des Dienens. Dass er sein Leben nach dem dreißigsten Lebensjahr aus Dankbarkeit für bis dahin erfahrene Privilegien in den Dienst an bedürftigen Mitmenschen gestellt hat, ist in der heutigen Zeit, da das Verdienen wichtiger zu sein scheint als das selbstlose Dienen, gewiss keine Selbstverständlichkeit. Natürlich gibt es auch heute noch Menschen, die dazu bereit und fähig sind. Aber in einem Zeitalter, das von Gier, Korruption, Rücksichtslosigkeit, Narzissmus geprägt ist, sind solche Menschen eher rühmliche Repräsentanten einer Minderheit.
    Schweitzer wusste sehr genau, warum er sich das Dienen zur Lebensmaxime erkoren hatte: nicht in der Hoffnung auf Belohnung für sein altruistisches Tun, nicht im Streben nach Ruhm, sondern als Abtragen einer Schuld, die die Europäer als Kolonialisten gegenüber den Bewohnern des schwarzen Erdteils vielfältig
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