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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman
Autoren: Heyne
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zu stecken - jede einzelne Bewegung erforderte Konzentration und einen erheblichen Kraftaufwand. Als er schließlich stand, zitternd und mit weichen Knien, hatten Yvonne und Raffaele die Barriere erreicht. Die erweiterte Wahrnehmung zeigte Sebastian eine dicke rote Verbindung zwischen der Frau und dem Kind, einen
pulsierenden Strang, in dem mentale Energie wie ein eingefangener Blitz flackerte. Plötzlich verstand er, was geschah: Der Junge leistete noch immer Widerstand, trotz allem, und vielleicht hätte er sogar Erfolg damit gehabt, aber es existierte bereits ein Riss in der Membran. Und indem Yvonne durch die Verbindung mit Raffaele selbst zum Fokus wurde, konnte sie diesen Riss erweitern und das Tor zwischen den Welten öffnen.
    Sebastian machte einen Schritt - einen von mehr als zehn, die nötig waren, um die beiden Säulen zu erreichen - und spürte deutlich, wie sehr sich Yvonne bemühte, eine Aufgabe wahrzunehmen, für die eigentlich Raffaele bestimmt gewesen war. Er war der Boden, der die Wurzeln der Nephilim enthielt; in ihm vereinte sich die von ihnen gesammelte Kraft. Von den anderen Nephilim unterstützt, benutzte Yvonne einen Teil dieser Kraft, wandte sich der Membran zu und bohrte die Finger dort hinein, wo der Riss endete. Raffaele stand stocksteif neben ihr und konnte es nicht verhindern.
    Der zweite Schritt fiel Sebastian etwas leichter als der erste. Die Fesseln, die Yvonne seinem Bewusstsein angelegt hatte, lockerten sich, und das war nicht nur bei ihm der Fall. Die Gestalten in den Kampfanzügen, von den Nephilim entwaffnet, erwachten aus ihrer Starre, auch der Mann in Zivil. Sebastian fragte sich, warum Yvonne und die anderen Nephilim sie nicht besser unter Kontrolle hielten, und plötzlich begriff er: Die Zeit wurde knapp. Das Grollen hinter dem die Höhle erfüllenden Tosen wurde leiser und verhallte - der Herzschlag der Welt ging zu Ende. Die Barriere musste jetzt geöffnet werden, oder sie blieb geschlossen, mindestens für weitere achthundert Jahre.

    Der rot pulsierende Strang zwischen Raffaele und Yvonne wand sich wie eine Schlange, als die Finger der Frau die Membran durchdrangen und den Riss erweiterten.
    Sebastian konzentrierte sich. Ein dritter Schritt, dann ein vierter mit immer noch weichen Knien. Der aus dem Riss wehende Wind schwoll an und blies ihm ins Gesicht, wurde so stark, dass er einen Schritt zurücktaumelte. Er kämpfte dagegen an, verkürzte die Entfernung zur Barriere um zwei Schritte - und musste sich der Erkenntnis stellen, dass er sie nicht rechtzeitig erreichen konnte.
    Der Mann in Zivil … Er bewegte sich nicht nur, er lief, vorbei an Krystek und den anderen Nephilim, die keine Anstalten machten, ihn aufzuhalten. Er lief auf Yvonne zu, die mit dem Rücken zu ihm stand, und warf sich gegen sie .
    Die blonde Frau fiel nach vorn, in die Membran, und das eigene Bewegungsmoment trug den Mann ebenfalls in den Riss.
    In Sebastian schrie der Nephilim, enttäuscht und voller Wut, und dann herrschte plötzlich Stille.
    Völlige Stille.
    Dies …
     
    … ist wie ein Moment ohne Zeit, der Augenblick, bevor der Sekundenzeiger auf den nächsten Strich springt.
    Es ist der Moment eines Todes, weiß Sebastian. Auf der anderen Seite der Barriere stirbt ein Mann, der sich geopfert hat - die Klaue eines Wesens, einer Kreuzung aus Skorpion und Hornisse, zertrümmert ihm den Schädel. Aber bevor ihn das Leben verlässt, strömen Erinnerungen durch den Kontakt mit dem Nephilim an seiner Seite, mit der Frau, die einmal den Namen Yvonne Jacek trug. Die Verbindung mit den anderen
Nephilim bleibt durch die teilweise geöffnete Barriere bestehen, und sie empfangen die Bilder, ohne ihnen Beachtung zu schenken - sie sind viel zu zornig, weil die Barriere noch immer existiert. Sebastian weiß: Sie könnten jetzt auf die andere Seite wechseln, aber ohne eine Zusammenführung der Welten wären sie dort gefangen.
    Er sieht die Bilder durch die fremde Präsenz im eigenen Kopf, und sein Gedächtnis nimmt sie auf.
     
    … war ein Moment ohne Zeit. Von den mentalen Fesseln befreit, lief Sebastian los - wie zuvor der Mann in Zivil, Ignazio Giorgesi - und erreichte Raffaele, als ein Schuss fiel. Die Polizisten oder Soldaten hatten sich ebenfalls aus der Starre gelöst, und einem von ihnen war es gelungen, seine Waffe wieder an sich zu bringen. Sebastian bekam den Arm des Jungen zu fassen, riss ihn von der Barriere fort und warf sich mit ihm zur Seite, als das Hornissenwesen, das Giorgesi den Schädel
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