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Äon

Äon

Titel: Äon
Autoren: Greg Bear
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zur Hüfte.
    Der Lukendeckel setzte sich in Bewegung. Er hörte den Mechanismus surren. Dann blieb die Luke, nur zu einem Drittel offen, stehen.
    »Klemmt«, sagte er verdutzt. Er war sich ziemlich sicher, daß die Übung damit beendet wäre, daß er die Luke passiere. Die Luke galt als narrensicher: sie öffne sich immer, wenn korrekt gejimmied [iv] – amerikanisches Wort, amerikanische Technik, verläßlich, nein?
    »Lockern! Offenbar haben Sie den Riegel nicht korrekt eingelegt.«
    »Doch!« betonte Mirski.
    »Major…«
    »Jawohl!« Er klopfte mit der Kante seines gepanzerten Handschuhs noch einmal auf den Riegel. Da er die Füße und die rechte Hand nicht eingehakt hatte, wurde er von der Luke weggeschleudert; es kostete ihn wertvolle Sekunden, sich wieder zur Luke zu ziehen. Verkeilen. Klopfen. Aushaken. Es tat sich nichts.
    Wasser an der Brust. Kalt, naß floß es durch die Halsdichtung in seinen Helm, als er eine Schräglage einnahm. Er schluckte es versehentlich und würgte. Jetzt. Der Oberst wird denken, daß ich ertrinke, und sich erbarmen.
    »Rütteln Sie dran!« schlug der Oberst vor.
    Seine Handschuhe waren so dick, sie paßten fast nicht in den Schlitz, in dem der Riegel steckte und durch die teilweise geöffnete Tür eingeklemmt war. Er drückte. Seine Ärmel liefen mit kaltem Wasser voll, und die Finger wurden taub. Er drückte noch einmal.
    Sein Anzug war nicht mehr auftriebsneutral. Mirski fing zu sinken an. Der Tankboden lag dreißig Meter tiefer, und alle drei Taucher hatten Orlov begleitet. Es stand also keiner mehr zwischen ihm und dem Ertrinken, falls er es nicht aus eigener Kraft in die simulierte sowjetische Luke schaffen sollte. Und wenn er jetzt nicht rausginge…
    Aber das wagte er nicht. Seit er erwachsen war, versuchte er, nach den Sternen zu greifen, und die wären ein für allemal außerhalb seiner Reichweite, falls er in Panik geriete. Er brüllte in seinem Helm und rammte die Handschuhspitze in den Schlitz, daß ein scharfer Schmerz durch seinen Arm zuckte und die Finger sich ins Innenfutter bohrten.
    Der Lukendeckel setzte sich wieder in Bewegung.
    »Klemmt nur ein bißchen«, sagte der Oberst.
    »Ich saufe ab, verdammt noch mal!« schrie Mirski. Er hakte die Hände in den Deckelrand und hustete Wasser. Die Anzugluft wurde unmittelbar über dem Halsring des Helms eingespeist und abgezogen, und schon hörte er, wie es gluckste und gurgelte.
    Rings um den Tank ging Flutlicht an. Das Wasser bei den Luken wurde taghell. Mirski spürte Hände unter den Achseln und an den Beinen und sah die drei übrigen Kosmonautenanwärter nur mehr verschwommen durchs beschlagene Helmvisier. Sie stießen sich von den Luken ab und zogen ihn höher, immer höher in den alten, gastfreundlichen Himmel seiner Großmutter.
     
    Sie saßen an ihrem besonderen Tisch abseits von den übrigen zweihundert Rekruten und bekamen zu ihrer Kascha gute, pralle Würste. Das Bier war kühl und köstlich, wenn auch etwas bitter und dünn, und es gab auch Kohlherzen und Karotten und Orangen. Und zur Nachspeise wurde ihnen von einem lächelnden Messeoffizier in einer großen Edelstahlschüssel frischgemachtes, feines Vanilleeis vorgesetzt, das sie in der Ausbildung seit Monaten nicht mehr bekommen hatten.
    Nach dem Essen spazierten Jefremowa und Mirski über das Gelände der Kosmonautenschule mit seinem tückischen schwarzen Stahlwassertank, der halb in den Erdboden eingelassen war.
    Jefremowa stammte aus Moskau und hatte einen leicht östlichen, vornehmen Einschlag mit angedeuteten Schlitzaugen. Mirski aus Kiew hätte auch Deutscher sein können. Freilich hatte es seine Vorteile, aus Kiew zu stammen. Ein Mann ohne Heimat: das erregte Mitleid, Wehmut, Sympathie bei den Russen.
    Sie redeten sehr wenig. Sie glaubten, ineinander verliebt zu sein, aber das war irrelevant. Jefremowa war eine von vierzehn Frauen im Kosmonautenprogramm. Als Frau war sie sogar mehr gefordert als die Männer. Sie hatte eine Ausbildung als Pilot der Luftwaffe hinter sich und Tu 22M Trainingsbomber und alte Sukhoi-Kampfflugzeuge geflogen. Mirski war nach dem Abschluß einer Ingenieurakademie für Luft- und Raumfahrttechnik zum Militär gekommen. Seine Zurückstellung vom Wehrdienst war ein Glücksfall gewesen; anstatt mit achtzehn eingezogen zu werden, qualifizierte er sich für ein Stipendium der Neuen Reindustrialisierung.
    Auf der Ingenieurakademie erwarb er eine ausgezeichnete Beurteilung in Politischen Wissenschaften und Management. Er wurde
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