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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway
Autoren: Leonardo Padura
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mehr bist.« Der Ermittler Manuel Palacios grinste. »Egal. Also, ich kenn dich doch, und da hab ich mir gedacht, dass du hier rumhockst. Ich weiß nicht, wie oft du mir die Geschichte erzählt hast von dem Tag, an dem du Hemingway begegnet bist. Hat er dir nun tatsächlich zugewinkt, oder ist das frei erfunden?«
    »Das musst du selbst rauskriegen, dafür bist du schließlich Polizist …«
    »Mies drauf?«
    »Weiß nicht … Eigentlich hab ich gar keine Lust, mich da reinzuhängen … aber dann wieder doch.«
    »Pass auf, Conde, häng dich so lange rein, wie du willst, und wenn du nicht mehr willst, dann hörst du auf, ja? Hat sowieso nicht viel Sinn, nach vierzig Jahren …«
    »Ich weiß wirklich nicht, warum zum Teufel ich Ja gesagt hab … Wenn ich erst mal anfange, kann ich nicht mehr aufhören, selbst wenn ich will.«
    Nach dieser Selbstkritik trank El Conde das Glas mit einem zweiten Schluck leer. Acht Jahre ohne Kripozentrale sind eine lange Zeit. Er hätte nie gedacht, dass er so einfach wieder in ihren Schoß zurückkehren könnte. Neuerdings verbrachte er die freien Stunden, in denen er nicht schrieb oder zumindest zu schreiben versuchte, damit, in der Stadt herumzulaufen und alte Bücher zu suchen, mit denen er das Antiquariat seines Freundes versorgte. Auch wenn dabei nicht viel zu verdienen war – er war mit fünfzig Prozent am Gewinn beteiligt –, hatte Mario seinen Spaß dabei. Seine neue Tätigkeit hatte viele Vorteile. Er erfuhr persönliche und familiäre Geschichten, die manchmal hinter der Entscheidung steckten, sich von einer in drei oder vier Generationen zusammengetragenen Bibliothek zu trennen, und die Zeitspanne zwischen Kauf und Verkauf konnte er dazu nutzen, all das interessante Zeug zu lesen, das durch seine Hände ging.
    Der wesentliche Nachteil seines Händlerdaseins war allerdings, dass ihn der Anblick alter, wertvoller Bücher, die durch Gleichgültigkeit oder Unwissenheit gelitten hatten und häufig nicht mehr zu retten waren, wie eine offene Wunde schmerzte. Oder wenn er sich entschloss, besonders faszinierende Exemplare in sein eigenes Regal zu stellen, anstatt sie in den Laden seines Freundes zu bringen. Eine gefährliche Nebenwirkung der unheilbaren Krankheit namens Bibliomanie.
    An diesem Morgen jedoch hatte ihn sein ehemaliger Kollege Manuel Palacios angerufen und ihm die Geschichte der Leiche, die auf der Finca Vigía gefunden worden war, auf dem Silbertablett serviert. Als die Frage kam, ob er den Fall übernehmen wolle, da war es ihm gewesen, als hätte er den Ruf der Wildnis vernommen. Mit einem gequälten Blick auf das weiße leere Blatt, das in seine prähistorische Underwood eingespannt war, hatte er Ja gesagt, kaum dass er die ersten Einzelheiten des Falles erfahren hatte.
    Das Sommergewitter hatte Marios Viertel kräftig durchgeschüttelt. Solche Attacken von Wasser, Wind, Blitz und Donner pflegen sich, im Gegensatz zu den Hurrikanen im Herbst, nicht anzukündigen. Irgendwann am Nachmittag vollführen sie irgendwo auf der Insel ihren rasenden Totentanz, zerstören Bananenplantagen, verstopfen Abwasserkanäle, aber richten nur selten größere Schäden an. Das Unwetter hatte seine Wut an der Finca Vigía ausgelassen, dem ehemaligen Wohnsitz von Ernest Hemingway und heutigen Museum in der Nähe von Havanna. Einige Dachziegel waren davongeflogen, der Strom war ausgefallen und ein Teil des Gartenzauns weggerissen worden. Vor allem jedoch hatte der Sturm einen uralten, todkranken Mangobaum gefällt, der sicherlich schon vor 1905, dem Jahr des Hausbaus, gepflanzt worden war. Und zusammen mit den Baumwurzeln waren die Knochen eines, wie die Spezialisten der Kripozentrale feststellten, etwa sechzigjährigen weißen Mannes mit beginnender Arthrose und einem alten, schlecht verheilten Bruch der Kniescheibe zum Vorschein gekommen, getötet zwischen 1957 und 1960 von zwei Kugeln, höchstwahrscheinlich aus einem Gewehr. Eine Kugel hatte das Brustbein sowie die Wirbelsäule zerschmettert. Die zweite war offenbar in den Bauch gedrungen und auf der Rückseite wieder ausgetreten, denn sie hatte eine hintere Rippe gebrochen.
    Zwei Schüsse aus einer schweren Waffe, vermutlich aus nächster Nähe abgegeben, hatten den Tod jenes Mannes herbeigeführt, der jetzt nur noch ein Haufen angenagter Knochen in einem Plastiksack war.
    »Weißt du, warum du Ja gesagt hast?«, fragte Manolo seinen früheren Kollegen mit einem amüsierten Grinsen, wobei das rechte Auge auf die Nasenscheidewand
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