Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ach waer ich nur zu Hause geblieben

Ach waer ich nur zu Hause geblieben

Titel: Ach waer ich nur zu Hause geblieben
Autoren: Kerstin Gier
Vom Netzwerk:
auf ihre Schenkel. Sie kriegt sich gar nicht mehr ein.
    Ich höre eine Männerstimme von weiter hinten sagen: »Kann denn nicht mal jemand den Lachsack ausmachen?«
    Gerne! Kommen Sie doch bitte nach vorne und suchen nach dem Aus-Knopf.
    »Viele Menschen haben Flugangst«, sagt Vivi.
    »Ja, aber die fliegen dann auch nicht«, sagt der Lachsack.
    Ja, und das finde ich auch konsequent und richtig. Wie kann man nur so blöd sein und sich mit Flugangst in ein Flugzeug begeben?
    Aber jetzt ist es zu spät.
    Es fängt an zu brummen und zu vibrieren, etwas klackert laut, dann rollt die Maschine langsam los, zur Startbahn. Die Stewardessen fangen mit den Sicherheitseinweisungen an. Ich nehme nicht an, dass wir bei einem Absturz über den Alpen unsere Schwimmwesten brauchen werden und erspare mir für dieses Mal das Tasten unter den Sitz. Ich wette aber, meine Sauerstoffmaske klemmt und kommt im Falle eines plötzlichen Druckausgleichs nicht von allein von der Decke. Kann man das nicht mal überprüfen? Warum können wir die Sauerstoffmasken eigentlich nicht einfach die ganze Zeit über tragen? Das würde im Ernstfall viel Stress ersparen. Außerdem kriege ich jetzt schon kaum noch Luft.
    Ich sehe mich misstrauisch um, als die Durchsage kommt, dass Handys und andere elektronische Geräte während des Flugs ausgeschaltet bleiben sollen. Sicher sitzen hier jede Menge Ignoranten, die ihr Handy anlassen, aus Angst, einen Anruf zu verpassen. Anstatt den Leuten ihre Nagelfeilen wegzunehmen, sollten sie besser die Handys beschlagnahmen.
    Da! Zwei Sitze weiter hinten sitzt so ein Paris-Hilton-Verschnitt, der noch seelenruhig eine SMS verschickt. Ich sehe schon ihr Foto in der BILD-Zeitung, darunter die Schlagzeile: Sie liebte ihr Handy mehr als ihr Leben – hundertsechzig Menschen riss sie mit in den Tod.
    Vivi hält normalerweise unaufgefordert meine Hand beim Start und der Landung, und bei den geringsten Turbulenzen in der Luft versucht sie mich abzulenken.
    »Sieh mal da vorne, der Mann am Gang«, sagt sie dann beispielsweise. »Der sieht wirklich gut aus.«
    »Der da links? Gutaussehend? Für einen Umpalumpa, vielleicht.« Diese Art Ablenkung hilft nur für ein paar Sekunden, aber immerhin. Im Flugzeug habe ich ohnehin keinen Blick für Männer. Ich halte stets die Stewardessen im Auge. Wenn die aufhören zu lächeln, steht ein Absturz unmittelbar bevor. Einmal haben sich alle Stewardessen hingesetzt und angeschnallt. Da wusste ich, dass mein letztes Stündchen geschlagen hatte. Vivi hat damals meine Hand gehalten, bis wir zu meinem großen Erstaunen sicher gelandet waren.
    Aber jetzt kann Vivi meine Hand nicht halten, weil Gina zwischen uns sitzt und lacht. Ich atme flach und bete stumm, so wie ich das immer tue. Ich bitte Gott um Vergebungaller Sünden, die ich seit dem letzten Flug begangen habe. Ich denke an Mann und Kind und daran, dass ich schon wieder kein Testament gemacht habe.
    Plötzlich hört Gina auf zu lachen.
    Wir haben die Startbahn erreicht, das Flugzeug dreht sich in Position, bleibt stehen und macht einen mörderischen Krach.
    Gina krallt ihre Hand in mein Hosenbein. »Was ist das?«, fragt sie.
    »Meine Hose«, sage ich.
    »Ich meine das Geräusch «, sagt Gina.
    »Die Turbinen?«, sage ich und sehe hilfesuchend zu Vivi hinüber. Die kramt in ihrer Handtasche herum, vermutlich sucht sie einen Kaugummi.
    »Ja, aber das klingt wirklich komisch«, sagt Gina.
    »Blödsinn«, sage ich streng. HALLO? Will sie, dass ich mir vor Angst in die Hosen pinkele, oder was?
    Offensichtlich. »Hier stimmt was nicht!«, sagt Gina kategorisch.
    Ich spüre, wie mir kalter Schweiß ausbricht. Ich suche mit den Augen nach den Stewardessen, aber ich kann keine finden. Sind sie etwa ausgestiegen, als sie das komische Geräusch gehört haben?
    Das Flugzeug setzt sich wieder in Bewegung, und Gina macht sich stocksteif in ihrem Sitz. »Na dann, gute Nacht«, sagt sie. »Ich bin wirklich schon oft geflogen, aber solche Geräusche habe ich noch nie gehört.«
    Oh nein.
    »Da ist was kaputt, und sie haben es nicht gemerkt«, sagt Gina.
    Jetzt nimmt meine Angst eine ganz neue Dimension an.
    »Hilfe! Stoppt das Flugzeug!«, will ich rufen, aber ich bekomme keinen Ton heraus. Mit einem Affenzahn brettern wir die Startbahn entlang und dann – viel zu früh für mein Gefühl – heben wir ab und steigen in die Luft.
    Vivi schaut wie immer fasziniert aus dem Fenster.
    »Oneinoneinonein!« Gina hat die Augen fest zusammengekniffen und ihre Hand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher