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Abschaffel

Titel: Abschaffel
Autoren: Wilhelm Genazino
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Das Entsetzlichste war sein Hintern, sagte sie. Wieso? fragte Abschaffel. Faltig, und wie faltig, sagte Frau Schönböck. Ach so, sagte Abschaffel. Und? Haben Sie mit ihm geschlafen? Es ging nicht, sagte sie; ich habe ihn gedrückt, gepackt und alles, aber es geschah nichts, und trotzdem hat er es versucht, stellen Sie sich das einmal vor, und hat so getan als ob. Und Sie, fragte Abschaffel, was haben Sie gemacht? Ich habe die Augen geschlossen und gebetet, daß ich schnell wieder aus der Wohnung herauskomme. Nach einer halben Stunde habe ich mich angezogen, sagte Frau Schönböck, und stellen Sie sich vor, was er zu mir gesagt hat. Ich könnte schon wieder mit Ihnen schlafen, hat er gesagt; stellen Sie sich das vor! Der ist genauso verlogen wie Sie, Frau Schönböck, sagte Abschaffel, aber sie ging nicht darauf ein und fragte, was sie jetzt machen solle. Nichts natürlich, sagte Abschaffel, was denn sonst, die Geschichte einfach auslaufen lassen durch Nichtstun. Aber er hat mich gestern abend schon angerufen, nachts, sagte sie, weil er wissen will, ob ich mit einem anderen Mann wirklich schlafe, er verwickelt mich in lange Gespräche und will wieder mit mir wegfahren und alles, es ist fürchterlich, was soll ich denn jetzt machen, sagte sie wieder. Das nächste Mal, sagte Abschaffel, freunden Sie sich mit einem zehnjährigen Jungen an. Der hat bestimmt einen wundervollen Hintern, und Sie werden begeistert sein. Aber ich versichere Ihnen, wenn Sie mit dem Jungen schlafen wollen, wird es wieder zu ganz tollen Peinlichkeiten kommen. Und Sie haben den Vorteil, daß der Junge Sie nachts nicht anrufen wird, denn ab neun Uhr schläft der wie ein Murmeltier. Und dann kommen Sie am nächsten Tag ins Büro und erzählen mir wieder alles, sagte Abschaffel.
    Frau Schönböck kreischte auf und sagte: Was Sie für Ansichten haben, Herr Abschaffel! Sie lachten beide laut und anhaltend, so daß sich Abschaffel schon während des Lachens fragen konnte, warum er so zynisch war. Es ärgerte ihn ihre Naivität, die er für Dummheit hielt, und es ärgerte ihn noch mehr, daß sie nie merkte, daß er sie nicht ernst nahm. Sie trugen ihre leergegessenen Essenschalen zurück zu der Luke, wo das Kantinenessen ausgegeben wurde, und gingen gemeinsam und immer noch lachend in den Büroraum zurück. Er nahm ihr übel, daß sie ihm ermöglichte, einen solchen Zynismus an den Tag zu legen, und er vermutete, daß sie ihre eigenen Probleme nicht ernst nahm, wenn sie sich mit diesem Zynismus zufriedengab, ja ihn lachend quittierte. Sie hielt ihren Geldbeutel fest in der linken Hand und verstaute ihre Essenmärkchen in der linken Rocktasche, als sie zu ihrem Platz in der Mitte des Großraumbüros zurückging. Manchmal lachte sie während des Nachmittags zu ihm herüber, und Abschaffel hatte das Gefühl, in einem Meer von Mißverständnissen unterzugehen. Im Verlauf des Nachmittags war Abschaffel noch zweimal auf der Toilette und wusch sich die Hände. Er betrachtete sich jedesmal lange im Spiegel über dem Waschbecken, und erst spät fiel ihm auf, daß er nur hatte feststellen wollen, wie weit er selbst noch entfernt war vom körperlichen Zustand des alten Mannes, von dem Frau Schönböck erzählt hatte. Abschaffel war dreißig Jahre alt und lebte allein. Oben rechts an der Stirn gingen ihm die Haare aus, und er überlegte, ob sich eine Frau eines Tages genierte, seinen Kopf mit beiden Händen an sich zu drücken, weil er zuwenig Haare haben könnte. Und er brach auf der Toilette in ein unerhörtes Selbstmitleid aus; alles störte ihn und gefiel ihm nicht mehr. Er hatte plötzlich das Gefühl, als stünden mehrere Menschen auf seinen Armen und Beinen. Wie gelähmt ging er auf seinen Platz zurück und hoffte, daß ihn niemand mehr ansprechen würde bis zum Schluß des Arbeitstages. Warum war denn wieder alles so merkwürdig? Es beschäftigte ihn, daß er kaum einen Tag zu Ende bringen konnte, ohne daß eine sonderbare Stimmung ihn überfiel.
    Still und beleidigt stieg er später in den Bus und fuhr zurück in die Stadt. Wer wie Abschaffel jeden Tag arbeitete und am Abend schnell noch durch die Stadt ging, erlebte immer nur die Hektik vor Schließung der Geschäfte. Jedesmal kam er sich deshalb wie betrogen vor. Er konnte gar nicht mehr ruhig gehen und alles betrachten, sondern er hatte das Gefühl, alles, was er sah, würde er gerade noch dabei ertappen, wie es zum letztenmal geschah. Wieder war er beleidigt, sein Gang war bösartig. Er kannte ein
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