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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen
Autoren: Manfred Krug
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gewendet. Und dieser unbequeme Dichter wendet sich gegen den Fortschritt in erster Linie. Seine Hauptkritik wird nicht an der Reaktion geübt. Was hat nun zu der Entscheidung geführt? Ich muß hier betonen, es handelt sich um eine Entscheidung der Regierung der DDR. Der Regierung der DDR. Zu dieser Entscheidung, die ich voll billige, voll unterstütze, hat das Verhalten von Biermann in der BRD geführt. Ich kann hier aus voller Überzeugung sagen: Ich habe keinerlei Absicht gehabt, keinerlei Vorentscheidungen oder Entscheidungen getroffen vor diesem Auftritt, Biermann aus der DDR auszubürgern. Wer das behauptet, lügt. Weder in der Parteiführung noch in einem anderen Gremium, irgendeinem weiteren Gremium, ist mir bekannt, daß eine solche Vorentscheidung getroffen worden wäre.
     
    Dieser Auftritt war außerordentlich schockierend. Biermann ist ja bekanntlich gefahren, um die Metall-Jugend zu unterstützen und diejenigen, die ihn eingeladen haben, in ihrem Kampf, in ihren Aktionen. Aber ich weiß nicht, ob man diesen Auftritt als eine Unterstützung der Metall-Jugend betrachten kann. Denn das Wesentliche dieses Auftritts war die Auseinandersetzung mit dem Gesellschaftssystem der DDR. Also wurden doch die Dinge auf den Kopf gestellt. Ich nehme an, die Metall-Jugend kämpft in erster Linie für die Änderung der Gesellschaftsverhältnisse in der BRD. Also muß man sich mit diesen Verhältnissen auseinandersetzen und weniger mit der Bürokratie oder anderen Erscheinungen in der DDR. (Pause.) Also, wenn man sachlich die Dinge betrachtet, haben wir doch große Geduld gehabt, sehr große Geduld sogar. Sicherlich gibt es in diesem Raum viele, die alles oder fast alles oder einiges von dem kennen. Ich hatte das Vergnügen, einiges zu lesen. Nun bin ich ein geduldiger und ruhiger Mensch. Aber ich kann verstehen, daß viele – einfache Leute – bei uns, wenn sie das alles hören, ziemlich in Rage kommen. Ich spreche nicht von den beiden, die mich begleiten, die wirklich tolle Jungs sind und darum keine »Stasischweine«. (Er spricht von zwei jungen Männern, die als einzige sichtbar auf der Straße patrouillieren.) Das sind unsere Jungs, sie sind bei uns groß geworden, sind unsere Leute, in unsere Schulen gegangen, die haben den Staat mitgebaut. Die lieben uns. Das sind keine »Schweine«.
     
    Krug:
    Wer?
     
    Lamberz:
    Was Biermann sagt … Meine Jungs zum Beispiel, die mich begleiten.
    Oder: Ich wohne nicht in einem Ghetto. Pardon, ich wohne wirklich nicht in einem Ghetto. Ich weiß, hier gibt es mehrere, die Antifaschisten in der Familie haben. Mein Vater hat sechs Jahre im KZ gesessen, meine Mutter ist durch die Drangsalierungen der Nazis umgekommen. In meiner Familie gibt’s mehrere. Aber Pardon, trotzdem lebe ich nicht im Ghetto. Und außerdem leben wir nicht in Kasernenhöfen oder von Kasernen umgeben. Das ist nicht wahr, Uns zu vergleichen mit den Nazis und das dort, wo wir wohnen, mit Ghettos zu vergleichen. Biermann sagt, wir sind isoliert. Also, wer im Wald lebt, ist isoliert? Die Bourgeois, die in der Stadt leben, sind mit dem Volk verbunden? Und die Kommunisten, die im Wald leben, sind isoliert? Ob jemand isoliert ist oder nicht isoliert ist, hängt von der Politik ab, die er macht. Es gibt Leute, die können weit entfernt von einer Stadt leben, aber eine so menschliche Politik, eine Arbeiterpolitik machen, daß sie viel verbundener sind als diejenigen, die mitten in der Stadt wohnen. Ich bringe das nur als Beispiel. Ich könnte hier vieles zitieren, und ihr wißt ja selbst, was er geschrieben hat über den Staatsapparat, über die Arbeiter in unserem Land, seine Haltung zur Grenze, seine Haltung zu »68«, seine Haltung zur Entwicklung auf dem Lande, all das sind doch Schnittpunkte einer politischen Entscheidung gewesen. Das hat uns nicht berührt und nicht bewegt und auch die Mitglieder der Regierung offensichtlich nicht so bewegt, daß sie vor dem Auftritt in Köln zu einer solchen Entscheidung kam. Aber mit Köln kam eine andere Situation. Mit Köln ist Biermann auf dem Boden des anderen Staates in erster Linie in einer solchen Form gegen uns aufgetreten, daß – so glaube ich – der Staat berechtigt ist, hier eine solche Konsequenz zu verlangen und auszuüben, wie das getan wurde. Denn jeder Bürger hat doch seine Pflichten. Ja, man kann sich unterschiedlich bewegen: Ich habe mit großem Interesse gesehen, wie Stefan Heym sich in der Talk-Show bewegt hat. (Er bezieht sich auf eine Talk-Show mit
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