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Abaton

Abaton

Titel: Abaton
Autoren: C Jeltsch
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hieß. Das hatte sie an ihrer Mutter gesehen, als die Männer in Weiß sie abholten und fortbrachten. In den Augen ihrer Mutter. Edda erkannte darin das Erschrecken und hatte das Gefühl, die Gedanken ihrer Mutter lesen zu können. Edda verstand jedes Wort, das sie zu ihr sagte, obwohl sie nicht einmal die Lippen bewegte. Fremde Worte waren das, die auf einmal in Edda klangen. So was wie: No Tabanota Ba, No Tabanota Ba, No Tabanota Ba ...
    Marie, ihre Großmutter, hatte sie umfasst und getröstet.
    „Ist das Beste so“, hatte Marie gesagt und ihre Stimme kam Edda zum ersten Mal nicht warm und mitfühlend vor. Sie hatte sich von Marie losgerissen und war gerannt. Einfach gerannt. Hinter dem Wagen her, auf den Deich. Immer weiter ... Am Strand hatte sie sich wiedergefunden zwischen den Muschelschalen, dem abgeschliffenen Glas, vor den Wellen mit dem beruhigenden Rauschen. Im Seewind. Der ihre Trauer auf einmal mitzunehmen schien. Auf das Meer hinaus. Weit, weit weg.
    Gut so, hatte Edda gedacht.
    Weg damit! Für immer weg damit! Da hatte sie sich entschieden, endlich ein ganz normales Mädchen zu werden.
    Sie riss sich aus den Gedanken an die Vergangenheit.
    Jetzt war sie hier in diesem Camp!
    Und sie musste da irgendwie durch. Vielleicht gab es ja auch ein paar coole Leute hier. Nicht nur solche Loser wie die beiden Glotzer eben. Obwohl der eine ...
    Edda warf einen Blick in das große Organisationszelt und ging gleich rückwärts wieder hinaus. Die anderen „Gewinner“ drängelten sich dort vor dem Tisch, an dem die Unterbringung in den Zelten geregelt wurde. Drängeln war nichts für Edda. Das hatte sie nicht nötig. Lieber schaute sie sich ein bisschen um. Lehnte sich an den Zaun, der das Lager umgab, und zündete sich eine Zigarette an. Die Blicke der wenigen anderen Mädchen taten ihr gut. Bis die Campleiterin kam und ihr mir nichts dir nichts die Fluppe aus den Fingern nahm.
    „Hier wird nicht geraucht!“
    „Kiff ich eben“, sagte Edda.
    „Keine Chance!“ Die Frau sagte es freundlich. Doch mit einer Stimme, die keinerlei Widerspruch duldete. Sie hielt nur wortlos die geöffnete Handfläche vor sie hin und Edda blieb nichts anderes übrig, als die Packung Zigaretten hineinzulegen. Sie tat es, ohne sich mit ihr zu streiten, wie sie es sonst gemacht hätte. Irgendwas in der Stimme der Campleiterin hatte Edda den Wind aus den Segeln genommen.
    „Und jetzt bitte noch das Feuerzeug“, sagte die Campleiterin, die ihre dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Und Edda überreichte ihr missmutig das bunte Plastikfeuerzeug. „Wo ist dein Fähnlein?“, fragte die Frau.
    „Das was?“ Edda verstand nur Bahnhof.
    „Wo bist du untergebracht?“
    „Weiß ich nicht; noch gar nicht“, sagte Edda störrisch. „Ist mir auch egal.“
    Es galt jetzt, das Ansehen bei den neugierigen Beobachtern der Szene wiederzugewinnen; nach der Schmach mit den Zigaretten.
    „Wieso bist du dann überhaupt hier?“
    Edda zog die Mundwinkel herab. Wie die Merkel.
    „Weil ich diesen behinderten Hirni-Wettbewerb gewonnen hab.“
    „Hast du Heimweh?“, erkundigte sich die Campleiterin mitfühlend.
    „Pffff“, sagte Edda abfällig.
    Die Campleiterin schaute auf die hochhackigen Stiefel von Edda und die lackierten Fingernägel und musste lachen.
    „Ich wollte hier nur kurz jemand treffen“, log Edda. Und hasste sich gleich dafür, dass sie überhaupt auf das Lachen der Campleiterin reagierte. Aber das mit dem Lügen war wie ein Reflex geworden. Edda log schnell und viel. Vielleicht weil sich dann die Welt ein wenig besser anfühlte. Weil sie sich die Welt dann so schaffen konnte, wie es ihr gefiel, und weil sie dann schneller aus ihren Träumen zurück in die Welt der anderen fand. Die Lügen waren wie eine Brücke, auf der es nicht so wehtat, dass ihr Vater so früh aus ihrem Leben verschwunden war, dass ihre Mutter in der Klapse saß und sie bei ihrer Großmutter in der Provinz an der Nordsee aufwachsen musste.
    „Ich hoffe, du hast noch ein paar andere Schuhe dabei“, sagte die Campleiterin und wollte sich schon abwenden. Aber dann überlegte sie es sich anders. „Wie heißt denn eigentlich dieser Jemand?“
    „Marco. Marco Jörning.“
    Die Campleiterin sah rasch die Teilnehmerliste durch.
    „Hab ich hier nicht.“ Sie blätterte noch einmal alle Seiten durch.
    „Ja. So schlau bin ich auch schon. Ganz herzlichen Dank“, sagte Edda in liebreizendem Ton und mit klimperndem Augenaufschlag.
    „Wie heißt du
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