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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof
Autoren: Karl May
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Pachthofs von Jahr zu Jahr zurückgegangen. Man sprach davon, daß die Zinsen schon seit längerer Zeit nicht bezahlt worden seien. Der Major hatte sich bei dem Gemeindevorstand brieflich Auskunft eingeholt, und als er nun heute nach dem Tod des alten Pächters zum ersten Mal wieder im Dorf erschien, verstand es sich ganz von selbst, daß er gekommen sei, um persönlich nachzusehen, wie es um sein Eigentum stehe.
    Der Pachthof lag am oberen Ende des Dorfes. Der Major ließ aber den Wagen schon früher halten, um auszusteigen.
    Man wollte überraschen. Das ‚Majörle‘ ging hinter seinen Eltern. Es nahm den Säbel hoch in den gekrümmten Arm und kniff das eine Auge vornehm zu, als ob es ein Monokel vor demselben eingeklemmt habe. Man sah das Tor von weitem. Es gab über ihm eine Sonnenuhr, die jedenfalls von einem schon längst verstorbenen Dorfkünstler gemalt worden war. Sie stellte einen Engel dar, von welchem sehr schön gelbgefärbte Strahlen ausgingen. Seine Wangen glühten wunderbar zinnoberrot, und die Augen waren ganz ausgesprochen himmelblau. Die Stundenziffern standen auf den beiden Flügeln.
    Vor diesem Bild stand in der Mitte des Wegs ein kleines Mädchen, vielleicht acht Jahre alt. Über sein sauberes Sonntagskleidchen hingen zwei dicke, lange, goldblonde Flechten herab, geschmückt mit einem blauseidenen Zigarrenband. Die Wangen glänzten vor Gesundheit, wenn auch nicht ganz so rot wie die des Engels, in dessen Anblick das kleine, holde Wesen so vertieft war, daß es die drei Herankommenden gar nicht bemerkte. Die Frau Major blieb überrascht stehen.
    „Welch ein schönes Kind.“ sagte sie in gedämpftem Ton. „Wie schmuck und rein! Da kann man wohl schon freundlich auf die Mutter schließen!“
    Der Major nickte beistimmend. Das ‚Majörle‘ aber ging stracks auf das Mädchen zu, ließ den Säbel rasselnd fallen, stemmte beide Fäuste in die Hüften und fragte:
    „Wer bist du? Und warum stehst du hier vor unserem Tor?“
    Das Kind drehte sich zu ihm herum und betrachtete ihn mit großen, klaren Augen. Etwas so Schönes wie diese seine Uniform hatte es noch nie gesehen. Dennoch klang seine Stimme vollständig furchtlos, als es antwortete:
    „Ich bin das Sonnenscheinchen. Dieses Tor ist nicht euer, sondern unser. Wer bist denn du?“
    „Ich bin das ‚Majörle‘“, sagte er. „Mama nennt mich so. Und dieses Tor war schon unser, als ich noch das ganz kleine Hauptmännle war. Der da drin wohnt, ist unser Pächter. Wir sind reich, sehr reich!“
    Er richtete sich bei diesen Worten so hoch auf, wie er konnte. Sie aber entgegnete, ohne sich imponieren zu lassen:
    „Euer Pächter? Das ist nichts! Er hat von meinem Vater eine Maulschelle bekommen. Das weiß das ganze Dorf. Mein Vater war der Oberknecht. Das ist mehr als ein ‚Majörle‘. Und reich sind wir auch. In meiner Sparbüchse sind schon dreizehn Pfennige. Willst du sie sehen, so komm! Ich zeige sie dir!“
    „Ja“, nickte er, mehr aus Höflichkeit als aus Hochachtung. „Wir müssen aber erst mit dem Pächter reden. Wo wohnst du denn?“
    „Wo es am schönsten ist: ‚Im Sonnenschein‘. So nennt man unser Haus. Willst du, daß ich auf dich warte an der Straße?“
    „Ja.“
    „Gut! Aber erst muß ich essen. Wir haben heut Klöße mit Sauerkraut, weil Sonntag ist. Da bleibt nichts übrig. Aber Kaffee kannst du nachher mit trinken. Da sitzen wir vor der Tür. Leb' wohl!“
    Sie reichte ihm die Rechte und sah ihm dabei innig und freundlich in die Augen. Da vergaß das ‚Majörle‘ alle seine Ahnen; es bückte sich nieder, drückte seine Lippen auf das kleine Kinderhändchen und sagte:
    „So küßt man der Dame die Hand, wenn sie einem gefällt. Ich bin dir gut und komme ganz bestimmt!“
    Das Kind wollte gehen, da strich ihm die Frau Major über das reiche, blonde Haar und sprach:
    „Du bist also das Sonnenscheinchen. Wer hat dich so genannt?“
    „Das weiß ich nicht“, lautete die Antwort. „Vielleicht der liebe Gott!“
    „Das wird wohl richtig sein. Nun geh' zu deiner Mutter! Es ist fast Essenszeit. Sie wird auf dich warten!“
    Dann fuhr sie, zu dem Major gewendet fort:
    „Nicht nur ein schönes, sondern auch ein kluges Kind. Weit über sein Alter entwickelt. Bedächtig und resolut. Ein lebendiges Frühlingsgedicht!“
    Er nickte nur. Der Anblick des Pachthofs hatte seine bisher heitere Stimmung verscheucht. Nun öffnete er das Tor; sie traten ein. Das Sonnenscheinchen aber lief in großer Eile das Dorf hinab und an der
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