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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka
Autoren: Karl May
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in denselben zu blättern und zu lesen. Es waren zwei Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften Berlin, von E. d'Alton und von Weiß.
    Der vorhin herrschende Lärm hatte sich in die tiefste Stille verwandelt. Der Kleine frappierte die Leute alle. Sie wußten nicht, was sie von ihm und über ihn denken sollten. Das kümmerte ihn aber nicht im mindesten; ja, er bemerkte es gar nicht; er las und las und fühlte sich auch nicht gestört, bis man wieder lauter wurde und von neuem auf das Stiergefecht zu sprechen kam. Nur als einer der Kellner, ein ebenso kleiner Bursche wie er selbst, zu ihm trat, um ihn zu fragen, was er wünsche, blickte er auf und fragte im reinsten Spanisch: „Haben Sie Bier? Ich meine nämlich Cerevisia, wie es lateinisch heißt.“
    „Ja, Señor, Bier haben wir, die Flasche zu sechs Papiertaler.“
    „Bringen Sie mir eine Flasche, eine Ampulla oder Lagena auf lateinisch.“
    Der Kellner sah ihn verwundert an, brachte Flasche und Glas und goß das letztere aus der ersteren voll. Der Gast trank aber nicht und sah nicht von den Büchern auf. Man beschäftigte sich, einen ausgenommen, nicht mehr mit ihm, und dieser eine war Antonio Perillo, der Espada. Er ließ den Kleinen fast nicht aus den Augen; er schien sich innerlich nur mit ihm zu beschäftigen und beteiligte sich gar nicht mehr an der Unterhaltung. Endlich stand er gar auf, kam herbei, verbeugte sich und sagte in sehr höflichem Ton: „Entschuldigung, Señor! Wir scheinen uns zu kennen?“
    Der Kleine, rote Gaucho blickte überrascht von seiner Lektüre auf, erhob sich und antwortete in ebenso höflicher Weise: „Es tut mir leid, Señor, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie sich irren. Ich kenne Sie nicht.“
    „So müssen Sie Gründe haben, dies jetzt zu sagen. Aber ich kann einen solchen Grund nicht einsehen.“
    „Einen solchen Grund? Auf lateinisch Causa? Ich habe ja gar keinen Grund, zu sagen, daß ich Sie kenne. Es wäre eine Lüge.“
    „Aber ich bin überzeugt, daß wir uns oben am Fluß schon begegnet sind.“
    „Nein, denn ich bin gar nicht da oben gewesen. Ich befinde mich erst seit einer Woche hier im Land und habe Buenos Aires noch mit keinem Schritt verlassen.“
    „So darf ich vielleicht fragen, wo Sie eigentlich zu Hause sind?“
    „In Jyterbogk, welches auch Jüterbog oder Jüterbock geschrieben wird. Es ist bis jetzt unentschieden geblieben, welche Schreibweise die richtige ist. Ich entscheide mich aber unbedingt für Jüterbogk, weil da bog und bock vereinigt ist.“
    „Dieser Ort ist mir vollständig unbekannt. Würden Sie die Güte haben, mir Ihren Namen zu sagen?“
    „Ganz gern. Morgenstern, Dr. Morgenstern.“
    „Und Ihr Stand?“
    „Ich bin Gelehrter, oder, genauer ausgedrückt, Privatgelehrter.“
    „Und womit beschäftigen Sie sich?“
    „Mit Zoologie, Señor. Gegenwärtig bin ich nach Argentinien gekommen, um das Glyptodon, das Megatherium und das Mastodon aufzusuchen.“
    „Das verstehe ich nicht. Ich habe diese Worte noch nie gehört.“
    „Ich meine das Riesenarmadill, das Riesenfaultier und den Riesenelefanten.“
    Der Espada machte ein langes Gesicht, sah den Kleinen mit prüfendem Blick an und fragte dann: „Sprechen Sie im Ernst, Señor?“
    „Natürlich!“
    „Und wo wollen Sie diese Tiere suchen?“
    „Natürlich in der Pampasformation, von welcher man leider noch nicht genau sagen kann, ob sie sich schon vor oder gleichzeitig mit dem Diluvium gebildet hat.“
    „Diluvium? Señor, ich verstehe! Sie bewegen sich in dieser unverständlichen Sprache, um mir anzudeuten, daß ich Ihnen unbequem bin.“
    „Diese Sprache ist keineswegs so unverständlich, wie Sie meinen. Sehen Sie in diese beiden Bücher, deren Verfasser sehr tüchtige Kenner des Diluviums sind! Weiß und d'Alton; sie müssen Ihnen unbedingt bekannt sein, und – – –“
    „Nein, gar nicht, gar nicht“, unterbrach ihn der Stierkämpfer. „Diese beiden Herren kenne ich nicht. Von Ihnen aber möchte ich selbst jetzt noch behaupten, daß ich Sie kenne, und zwar genauer noch, als Sie denken. Hoffentlich geben Sie doch zu, daß der Anzug, welchen Sie jetzt tragen, eine Verkleidung ist?“
    „Eine Verkleidung? Hm! Wenn ich wahr sein will, so muß ich allerdings zugeben, daß ich sonst nicht gewohnt bin, als Gaucho zu gehen.“
    „Aber Sie reiten doch ausgezeichnet, wie ich gesehen haben!“
    „Das ist ein Irrtum, Señor. Ich habe zwar schon einigemal nicht bloß die Veranlassung, sondern auch die
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