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330 - Fremdwelt

330 - Fremdwelt

Titel: 330 - Fremdwelt
Autoren: Jo Zybell
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Ende aus seinem Bauchnabel und spielte nach einem Zug ein paar spanische Sätze ab – doch Brainless Kid ging sehr sparsam mit dieser Fähigkeit seines flauschigen Gefährten um.
    In Waashton hätte er seine heimliche Vorliebe niemals ausgelebt. Ein knallharter Bursche, der Leute zusammenschlug oder ausraubte und dabei ein Kuscheltier mit sich herumschleppte – wie hätte das denn ausgesehen? Nur an Bord der Schaluppe seiner früheren Gang an den Ufern des Potomac hatte er gut versteckt in einem verschließbaren Kasten einen Schatz gehütet: die verblichene, zerrupfte Plüschfigur eines Romanhelden namens »Jim Trash«. Aber die hatte er nur hervorgeholt, wenn er allein war oder seine drei Komplicen schliefen oder besoffen waren.
    Die Schaluppe war übrigens das letzte Stück, das Brainless Kid gestohlen hatte. Und er hatte sie gern gestohlen: Erstens gehörte sie zu einem Viertel sowieso ihm, zweitens hatte er sie gebraucht, um mit seinen neuen Freunden Richtung Meko in See zu stechen und ein neues Leben zu beginnen, und drittens konnte man nicht wirklich von Diebstahl oder Raub sprechen, wenn man Dieben und Räubern etwas wegnahm, was die sowieso geklaut hatten, oder?
    »Das hat der Doc auch gesagt, erinnerst du dich, Paul?« Er hob den Teddy hoch, sodass sie beide zum Strand hinüberblickten. »Jetzt buddeln sie ihn ein. Ist das nicht eine traurige Geschichte?« Er wischte sich den Rotz aus dem Gesicht und saugte an seiner Pfeife.
    Auch das süßlich duftende Zeug, das er rauchte, hatte er während der letzten drei Jahre unter Deck der Schaluppe in einem geheimen Vorratslager gesammelt. Kiff. Eigentlich hatte Brainless Kid sich vorgenommen, mit den alten Freunden auch das Kiffrauchen aufzugeben. Aussichtslos. Jedenfalls, solange der Vorrat noch unter Deck lag. Sollte er das Zeug etwa ins Meer schmeißen? Kam nicht in Frage.
    Die Soldatenbraut – sie hieß eigentlich Ayris Grover, doch Trashcan Kid hatte angefangen, sie »Soldatenbraut« oder »Lady Captain« zu nennen – hatte das Kiff »Rauschtabak« genannt; und der Doc »Droge«.
    Trashcan Kid war es übrigens auch gewesen, der die Schaluppe FUCKING WAASHTON getauft hatte. Brainless Kid fand das passend, weil sie doch mit diesem Schiff – seinem Schiff, genau genommen – dieser verdammten Stadt den Rücken kehren und ein neues Leben anfangen konnten. Ob man Kiff nun »Rauschtabak« oder »Droge« oder eben »Kiff« nannte, war ihm dagegen egal. Hauptsache, das Zeug brachte einen »gut drauf«; so nannte Brainless Kid das, wenn er sich keine Sorgen machte, gut gelaunt war und die Welt als das betrachten konnte, was sie nun einmal war: als einen bedeutungslosen Ort voller bedeutungsloser Dinge und Ereignisse.
    »Jetzt zum Beispiel komme ich gut drauf, Paul, ich warn dich schon mal.« Er zog den Rotz hoch, spuckte ins Meer und tat einen letzten tiefen Zug an seiner Pfeife. »Drüben heulen sie an Doc Ryans Grab und der kleine Paulie kommt gut drauf. Ist auch irgendwie witzig, oder?« Brainless Kid kicherte und drückte Paul an die Brust.
    Paulie – so lautete sein richtiger Name. Er hatte vergessen, wer ihn zuerst Brainless Kid genannt hatte. Es macht ihm nichts aus, so genannt zu werden; besser jedenfalls, als wenn jemand ihn »Sommersprosse« nannte, wie Trashcan Kid das gern tat. Den Sergeant Paddy O’Hara übrigens nannte Trashcan Kid häufig »Rotschädel«. Auch nicht schön.
    An seine Kindheit dachte Brainless Kid ungern. Da fielen ihm immer gleich Prügel ein und Hunger und dunkle abgeschlossene Zimmer und wieder Prügel und Uniformierte der Stadtregierung, die einen prügelten und in Kerkerzellen sperrten. Und einem nichts zu essen gaben. Wenn er Paul an sich drücken konnte, erschien ihm die Welt gleich ein klein wenig erträglicher. Und erst wenn er sein Pfeifchen rauchen konnte, kam sie ihm sogar witzig vor. Und bedeutungslos.
    Am Strand drüben hielt der Indianer eine Rede, Monsieur Marcel. Johnny nannte ihn Franzmann, weil er komisch sprach. Wahrscheinlich sprach er auch jetzt gerade komisch, aber er hatte Doc Ryan von allen am besten gekannt. Beide hatten schließlich Seite an Seite für die Running Men gekämpft, Mr. Blacks Rebellentruppe. Also musste er die Rede halten.
    Brainless Kid lächelte. »Da liegt er nun und kriegt eine Rede gehalten. Werden sie mir wohl auch eine Rede halten, wenn ich mal tot bin? Was werden sie dann sagen? Der Doc würde sagen: ›Im Grunde seines Herzens war er ein guter Junge‹. Schade, dass der Doc tot ist,
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