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326 - Schlangenmenschen

326 - Schlangenmenschen

Titel: 326 - Schlangenmenschen
Autoren: Manfred Weinland
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zukam.
    »Die guten Jungs sterben jung, meine Gnädigste!«, provozierte er sie. »Eben weil sie zu gut sind. Wann begreifst du endlich, in was für einer Welt wir leben?« Er hebelte das nächste Gewehr aus dem Wandhalter und inspizierte es. »Diese Hacienda wurde von meinem Ururgroßvater gegründet. Vor mehr als zwei Jahrhunderten. Denkst du, er hat sie nur aus einer Laune heraus ›Apocalipsis‹ genannt?« Castaño schüttelte vehement den Kopf. »Das Goldene Zeitalter, von dem nur noch Legenden erzählen, wurde vor vier, fünf... was weiß ich wie vielen Jahrhunderten von einer Katastrophe verschlungen, die wohl ohne Übertreibung als Apokalypse bezeichnet werden darf. Seither gilt mehr denn je das Gesetz der Stärke. Sei gut und geh unter. Sei wehrhaft und mit nicht allzu vielen Skrupeln behaftet, und dir steht die Welt offen!«
    »So hast du es dir zurechtgebogen«, sagte sie. »Ich bin in einer Welt voller Entbehrungen aufgewachsen. Deine Welt hieß Raffgier und Gewalt. Schon immer. Aber meine so viel ärmere Welt war die lebenswertere, glaub mir das ruhig. Und ich hatte immer die Hoffnung, dass unsere Kinder in einer Zeit eigene Kinder haben würden, in der dieser unbändige Hunger der Castaños nach mehr und immer mehr endlich einmal gestillt sein würde. Eine Zeit, in der unsere Familie zufrieden ist mit dem, was sie erreicht hat. Und nicht nach immer mehr Besitztümern giert. So wollte ich meine Söhne erzogen wissen. Und wenn ich Pablo betrachte, dann ist es mir zumindest bei ihm auch gelungen.«
    »Du hast einen Schwächling aus ihm gemacht. Jeder seiner jüngeren Brüder macht dem Namen Castaño mehr Ehre als er!«
    Ihre Augen verschossen imaginäre Blitze. »Sprich weiter so und du verlierst mich!«
    Wutschnaubend wandte er sich dem Gewehrstapel zu und schlang seine Arme darum wie um eine nicht halb so widerspenstige Geliebte, wie Maria es war.
    ***
    Maria Castaño beobachtete aus dem ersten Stock des Hauses, wie ihr Mann, der Padron, ein Dutzend Mitstreiter um sich scharte und sie mit Gewehren und Munition ausrüstete. Ihre Söhne unterschieden sich rein äußerlich nur unwesentlich von den Tagelöhnern, die auf der Hacienda zum Broterwerb schufteten. Aber bis auf Pablo, der mit hängenden Schultern den Worten seines Vaters lauschte, drückte ihre Körpersprache den an Überheblichkeit grenzenden Stolz der Castaños aus, wie er von Generation zu Generation vererbt wurde.
    In Momenten wie diesen wünschte sich Maria weit weg und hätte die Ehre der Castaños liebend gern gegen die Herzenswärme eingetauscht, mit der sie aufgewachsen war. Luis Castaño zu ehelichen war ein Fehler gewesen, der sich nicht wieder gutmachen ließ. Obwohl ebenso fleißig wie seine Brüder, war Pablo schon immer ein wenig anders gewesen. Als Einzigem der Geschwister war ihm die Sensibilität seiner Mutter zu eigen. Maria wusste, dass sie ihm damit eher eine Bürde als eine Hilfe in die Wiege gelegt hatte.
    Mit Schrecken sah sie, wie Pablo zugerichtet war. Sie erkannte auf Anhieb, dass er in das Nesselfeld geraten sein musste, das sich linker Hand meerwärts erstreckte. Hätte sich aus den aggressiven Ganzjahresblühern nicht wirksame Medizin herstellen lassen, wäre Maria höchstpersönlich längst mit Feuer und Pflug gegen die Gewächse vorgegangen. Doch bei vorsichtigem Umgang überwogen die positiven Eigenschaften der Nesseln.
    Was aber nicht darüber hinweghalf, dass Pablo noch Tage, vielleicht Wochen daran erinnert werden würde, dass ein Ausflug ins Nesselfeld ohne feste Kleidung und robuste Handschuhe nicht ratsam war.
    Am liebsten wäre Maria in den Hof geeilt und hätte Pablo mit ins Haus genommen, um seine Wundstellen mit einer Salbe zu behandeln, die ihm wenigstens Linderung gebracht hätte. Aber da sie ihn vor den anderen nicht bloßstellen wollte, verzichtete sie schweren Herzens darauf und sah einfach nur zu, wie sich die Menge bewaffnete und vom Padron auf den Feind einschwören ließ.
    Fremde Krieger. Indios. Unwillkürlich schauderte Maria bei dem Gedanken. Mit fest aufeinander gepressten Lippen sah sie zu, wie die Männer sich schließlich in Bewegung setzten und mit Luis Castaño an der Spitze zur Küste zogen.
    Sie waren kaum außer Sichtweite, als ein Geräusch Maria herumfahren ließ.
    Sie glaubte, sich selbst schreien zu hören. Doch dazu war sie gar nicht fähig. Von dem Moment an nicht mehr, als sie die Fratze des Fremden vor sich sah, der blitzschnell auf sie zu glitt.
    Marias letzter Gedanke,
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