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306 - Ein Hort des Wissens

306 - Ein Hort des Wissens

Titel: 306 - Ein Hort des Wissens
Autoren: Jo Zybell
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der Reenscha allerdings eine Ausnahme; etwa wenn er, wie jetzt, jemandem signalisieren wollte, dass er ihm vertraute.
    Eine Zeitlang beobachtete er den bärtigen Exekutor, bis der auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen und mit seinem Fuß zu wippen begann. »Du bist zum ersten Mal hier unten in der verbotenen Zone, nicht wahr, Varmer?«
    »Ja, doch...« Die Gestalt des Bärtigen straffte sich; schon saß er wieder auf der Stuhlkante. Fast wäre ihm das Gewehr von den Knien gerutscht. »Bis jetzt ging immer nur der Chef zu Euch hinunter, verehrter Meister. Nur Alastar.«
    »Alastar ist weg«, sagte Meister Chan.
    »Ja, weg. Stimmt schon.« Der Hüne auf der anderen Seite des Sprechgitters kaute auf seiner Unterlippe herum.
    »Es heißt, er sei in einem Luftschiff davongeflogen, mit unbekanntem Ziel.«
    »Hab davon gehört.« Die topfdeckelgroßen Pranken des Bärtigen hielten das Gewehr auf den Knien fest, während er sich den Unterkiefer an der Schulter rieb.
    »Den Befehl, die Zusammenkunft der närrischen Rebellen zu sprengen, habe ich dir noch durch meine Gardisten zukommen lassen.«
    »Wir haben ihn ausgeführt, Meister«, entgegnete er eifrig. »Keiner der Schwachköpfe hat überlebt.«
    »Ich weiß, Varmer, ich weiß. Worauf ich hinauswill: Künftig werde ich dich hier herunterrufen lassen, um dir meine Befehle persönlich zu erteilen. Vorläufig jedenfalls.«
    »Das ist...« Der Satz blieb erst einmal unvollendet, denn dem Exekutor fiel die Kinnlade auf die Brust.
    »Ich schätze, du weißt, was das bedeutet, Varmer.«
    »Ja... nein...« Der bärtige Hüne befingerte den Pelzbesatz seines schwarzen Umhangs. »Ich meine, ich finde das gut, aber...«, seine Augen waren starr vor plötzlicher Freude, »… ich weiß nicht, wie ich Euch... welche Ehre, verehrter Meister...!«
    »Alastar ist zum Problem geworden.« Meister Chan hatte sich entschieden, dem Bärtigen nur sorgfältig dosiert reinen Wein einzuschenken. Das Wort Verrat in den Mund zu nehmen erschien ihm unklug, obwohl er genau davon überzeugt war. Wie anders sollte er sich Alastars Ausbleiben denn erklären? Etwa damit, dass man ihn getötet hatte? Unwahrscheinlich. »Wir bräuchten ihn hier, und er ist nicht da. Das ist sehr... enttäuschend.«
    »Verstehe.« Der Bärtige nickte beflissen.
    Als die schlüssigste Erklärung für Alastars Ausbleiben schien Meister Chan jene, dass er sich mit Rulfan verbündet und an einen geheimen Ort zurückgezogen hatte, um an dem Plan zu arbeiten, ihn, Chan, zu stürzen und seine Position einzunehmen. Eine gefährliche Vorstellung, vor allem, wenn man an den kampfstarken und klugen Albino dachte.
    »Bevor Alastar verschwand, sollte er sich um einen Albino kümmern, der in einer Burg in den Highlands residiert. Er heißt Rulfan. Hast du den Namen schon einmal gehört?«
    Varmer runzelte die wulstige Stirn. Er saß wieder ruhiger in seinem Stuhl, lehnte sich sogar zurück. Offenbar hatte er den ersten Schrecken überwunden. »Der Name sagt mir nichts, verehrter Meister.«
    Etwas anderes hätte Chan auch gewundert. Er zog ein Stück Papier mit einer Zeichnung und einer Beschreibung Rulfans aus der Tasche und schob es unter der Holzwand durch auf die andere Seite. »Ich hielt große Stücke auf ihn. Ein hoch begabter, kluger Mann mit viel Erfahrung, der im Bunker von Salisbury aufwuchs.«
    »Verstehe.« Varmer bückte sich, nahm das Blatt, entfaltete und betrachtete es.
    »Einer, der das Zeug gehabt hätte, in ferner Zukunft meine Nachfolge anzutreten«, fuhr Chan fort. »Ich habe ihn jahrelang beobachten lassen. Ein wertvoller Mann – falls er mit uns zusammenarbeiten würde. Ein gefährlicher Mann, wenn er sich als unser Feind erweisen sollte.«
    »Ich verstehe, verehrter Meister.« Varmer hatte den Kopf leicht zur Schulter geneigt und die Lider halb geschlossen. Er sah aus wie einer, der angestrengt nachdachte und zugleich darauf bedacht war, sich jedes Wort einzuprägen.
    »Ich fürchte, er hat mit dem Ausbleiben Alastars zu tun«, ließ sich Chan vernehmen.
    »Dieser Rulfan?«
    »Ja, Varmer, dieser Albino. Statt mit uns zusammenzuarbeiten, hat er den Chefexekutor vermutlich auf seine Seite gezogen.«
    »Oder ihn sogar getötet!« Der Exekutor faltete das Papier zusammen und schob es in eine Tasche seiner Lederweste, die er unter dem schwarzen Umhang trug.
    »Gut möglich.« Meister Chan sagte das, um die Sache für Varmer nicht unnötig zu verkomplizieren. Im Grunde konnte er sich keinen Krieger vorstellen, der
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