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306 - Ein Hort des Wissens

306 - Ein Hort des Wissens

Titel: 306 - Ein Hort des Wissens
Autoren: Jo Zybell
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nicht einmal vier Minuten war alles vorbei. Keiner der selbsternannten Rebellen stand mehr auf eigenen Beinen. Varmer stemmte sein Schwert zwischen die gefällten Leiber, machte eine Geste nach links und rechts und seine fünf Kollegen erhoben sich. Sie gingen von einem am Boden Liegenden zum nächsten, und wer noch lebte, dem schossen sie in den Kopf. Varmer stapfte mit ihnen und schlug noch den einen oder anderen Schädel ab.
    Das war es schon. Nach kaum sieben Minuten verschwand der letzte Exekutor in der Dachluke. Zurück blieben die Toten auf dem Dach. Und Ruhe.
    Meister Chan war beeindruckt. Der Mann, den man »Jesus« nannte, schien wahrhaftig geeignet für den Posten des Chefexekutors. Ganz sicher war Chan noch nicht, denn es gab noch diesen Zweiten, wie gesagt. Doch Chan beschloss, erst einmal Varmer eine Chance zu geben.
    ***
    Einer der ersten Julitage 2527: Es hatte geregnet in der Nacht, die Luft war frisch, eine kräftige Morgenbrise hatte die Gewitterfront auf die Ostsee hinaus gejagt und nun riss die Wolkendecke auf und die Morgensonne brach durch.
    Der nächtliche Gewittersturm hatte Zweige aus dem Apfelbaum gerissen, die nun den Steinhaufen darunter bedeckten. Hier und da lagen auch grüne Äpfel zwischen den Steinen. In einen fraß sich eine fingergroße Hornisse hinein. Auf der baumabgewandten Seite des Grabhügels wuchsen Rotklee und kräftiger Löwenzahn.
    Rulfan lehnte gegen sich den Baumstamm und betrachtete die Steine, die Äpfel, die Blüten. Nächsten Sommer um diese Zeit wird das Vorjahreslaub dich bedecken, dachte er, und im Jahr danach wird man schon Mühe haben, dein Grab unter Gras und Wildblumen zu erkennen.
    An vielen Gräbern hatte der Mann aus Salisbury schon gestanden, weiß Gott, doch an keinem hatte er so viel Erschütterung und Traurigkeit erlebt wie an diesem. Nicht einmal an Daa’tans Grab.
    Ann war schnell gestorben. Von einem Augenblick auf den anderen hatte Aruulas Schwert sie im Rücken getroffen. »Wenigstens ein schneller Tod«, hatte Rulfan manche sagen hören. Pieroo zum Beispiel.
    Rulfan sah das anders. Ein schneller Tod mochte ein Tod ohne viel Schmerzen und Angst sein – aber hatte Ann sich von irgendjemandem verabschieden können?
    Nein.
    Hatte irgendjemand sich von Ann verabschieden können?
    Nein.
    Rulfan jedenfalls hoffte, niemals von einem Augenblick zum anderen zu sterben. Er wollte sich verabschieden, wenn es so weit war – von der Welt, von seinem Leben, von den Menschen, die er liebte. Und der große alte Mann dort drüben am anderen Grab, der Kahlschädel mit dem knochigen Gesicht, würde hoffentlich auch nicht von einem Augenblick zum anderen gehen. Rulfan wollte sich verabschieden können von seinem Vater Sir Leonard.
    Schreckliche Tage lagen hinter ihm und hinter allen anderen hier im Hüttendorf und am Bohrloch. Welchen Sinn hatten sie gehabt? Wozu sollten sie gutgewesen sein? Nächtelang hatte Rulfan über diese Frage nachgegrübelt – und immerhin zwei Antworten gefunden. Die erste: Er hatte seinen Vater Leonard Gabriel wiedergefunden – lebend wiedergefunden. Die zweite: Er war Meinhart Steintrieb begegnet.
    Alles andere, was diese Tage hier an der Ostsee gebracht hatten – oder waren es nur Stunden gewesen? – gehörte auf eine schwarze Liste mit der Überschrift » Katastrophe« : Ann war tot; ihre Mutter musste Tag und Nacht bewacht werden, damit sie sich nichts antat; Maddrax und Aruula hatten sich vollkommen überworfen; Queen Victoria von London war gefallen; und Lusaana, die Königin der Dreizehn Inseln, war von Xijs Kampfstab so schwer verletzt worden, dass sie es wohl nicht überleben würde.
    Und jetzt brachen sie alle nach und nach auf. Aruula und ihre Schwestern wollten mit der sterbenden Königin in die Heimat zurückkehren, er selbst würde mit den Technos und Marsianern – und Steintrieb – nach Britana in See stechen. Und Matthew Drax? Er würde wohl mit Xij im Amphibienpanzer losfahren, mit unbekanntem Ziel. Die beiden waren in einem erbärmlichen Zustand – Matt in einer Depression gefangen, Xij offensichtlich kranker denn je.
    Kein gutes Zeichen, dass ein Grab am Beginn der getrennten Wege stand, oder? Nein, kein gutes Zeichen, verdammt noch mal!
    Scharf sog Rulfan die Luft durch die Nase ein, stieß sich vom Apfelbaum ab und stapfte um das Kopfende des Grabes herum zu den Abraumhalden neben dem Trümmerhaufen, der einmal eine Halle gewesen war. Die Halle, unter deren Dach sie das Bohrloch in die Erde getrieben hatten,
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