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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden
Autoren: Karl May
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hat es befohlen.“
    „Dann habt ihr ihm gehorchen müssen“, beruhigte sie sich. „Was er befiehlt, das muß geschehen, denn er weiß, was er tut.“
    Vater Pent war also wohl ein echter Patriarch, der unumschränkt regierte und seinem Willen stets die richtige Geltung zu verschaffen wußte. Bei der Erklärung, daß er selbst gewünscht hatte, allein zu sein, war sofort alle Sorge bei den Frauen verschwunden, und man beschäftigte sich nur noch mit der Jagdbeute, welche wir mitgebracht hatten. Die Tatzen verschwanden, ohne daß ich wußte, wohin; die Eingeweide wurden in den Kessel geworfen, um sogleich gekocht und gegessen zu werden, während man das Fleisch zum Gefrieren in die Kälte hing.
    Menschen und Hunde saßen wieder traulich beim Feuer zusammen; den Schlaf hatte man vergessen. Da hörten wir es vor der Tür scharren, und das Fell, welches den Eingang bedeckte, wurde in die Höhe gehoben.
    „Repe (Fuchs)!“ rief Mutter Snjära erschrocken.
    So hieß nämlich der Lieblingshund des Alten, der ihn in den Wald begleitet hatte. Er kam unter dem Fell hindurchgekrochen und blieb mit eingezogenem Schwanz stehen, um ein klagendes Geheul auszustoßen.
    „Repe, kusne le attje – Repe, wo ist der Vater?“ fragte der Onkel, sich schnell vom Lager erhebend.
    Der Hund merkte, daß er verstanden worden sei. Er sprang winselnd an dem Frager empor und dann gegen die Tür zurück.
    „Er will Hilfe holen“, sagte ich, nach meiner Büchse greifend. „Es ist seinem Herrn ein Unglück widerfahren. Wir müssen ihm schnell folgen!“
    „Oder ist er dem Attje nur vorangesprungen“, meinte Kakke Keira, der Knecht, welcher von dem andern Knecht abgelöst worden war.
    „Nein. Das ist ganz das Gebaren eines Hundes, der Hilfe sucht.“
    Wir traten vor die Tür und schrien den Namen des Alten in die nordische, helldunkle Nacht hinaus. Die Kälte ließ den Ruf in weite Entfernung klingen, aber so scharf wir auch lauschten, wir konnten keine Antwort hören.
    „Härra (Herr), du hast recht“, entschied der Onkel; „es ist ihm etwas passiert. Nehmt eure Ski und eure Gewehre, und laßt uns dem Hund folgen!“
    „Das ist nicht genug“, antwortete ich. „Nehmt auch Riemen, Stricke und Stangen mit. Er könnte in eine Sala (Höhle, Eisspalte) gefallen sein.“
    Die Frauen klagten und jammerten; wir aber nahmen schweigend alles Nötige mit uns, fuhren mit den Füßen in die langen Schneeschuhe und überließen uns nun der Führung des klugen Hundes, welchen der Onkel, als der vorderste in unserer Reihe, an einer Leine vor sich gebunden führte.
    Wir verließen die Hütte in der entgegengesetzten Richtung als vorher. Bei Anfang unserer Bärenjagd hatten wir die Berge zu unserer Linken gehabt, jetzt aber lagen sie zur Rechten. Ihr Fuß stand auf dem Rand einer weiten Ebene, welche mit tiefem Schnee bedeckt war, und ihn entlang stürmte der Hund im raschesten Lauf dahin. Ohne die Schneeschuhe hätten wir ihm gar nicht zu folgen vermocht. So hatten wir vielleicht vier englische Meilen zurückgelegt, als er nach rechts einbog und sich nach einer Höhe wandte, welche keine große Steile zeigte, so daß wir uns also der Schneeschuhe nicht zu entledigen brauchten. Fast in derselben Schnelligkeit wie bisher ging es bergan, bis wir ein unbewaldetes Plateau erreichten, dessen Fläche auf der anderen Seite außerordentlich schnell wieder zur Tiefe stieg.
    „Ipmel“, rief der Onkel erschrocken, „sotn watsa salajägnai – o Gott, es geht in das Spalteis hinein! Orrop wahrok – laßt uns vorsichtig sein!“
    Er zog die Leine an, zwang auf diese Weise den Hund, langsam zu laufen, und sondierte mit seinem Spieß jeden Schrittbreit des Bodens, ehe er ihn betrat.
    „Ist dieser Boden gefährlich?“ fragte ich ihn.
    „Herr, wir gehen über Rutaimo (Hölle), wo die bösen Geister wohnen. Jeder von ihnen hat sich eine Spalte gebohrt, die er mit Schnee bedeckt, um die Samelatjit (Lappländer) zu betrügen. Tritt einer darauf, so stürzt er hinab in die Hölle, wenn nicht der Saiwaolmak (Schutzgeist) seine Hand ausstreckt, um ihn festzuhalten. Zuweilen kommt auch ein heiliger Engel und zieht ihn wieder heraus.“
    So vermischten sich in der Vorstellung des alten Lappländers christliche Bilder mit den heidnischen. Ihm war es schließlich sehr gleich, ob er von einem Engel oder einem Götzen Hilfe zu erwarten habe; vielleicht glaubte er, der eine sei so mächtig wie der andere.
    Wir glitten also langsamer über das Plateau dahin und
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