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25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden
Autoren: David Benioff
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jede Transaktion die Wahl zwischen zwei geschlossenen Türen dar. Dreh den falschen Knauf, und die Falle schnappt zu. Dann hockst du wieder in Bay Ridge, schläfst mit dem bescheuerten kleinen Bruder in einem Zimmer und schlürfst deinen Kaffee zusammen mit der ewig zeternden Orla, der einunddreißigste Stock eine rasch verblassende Fata Morgana, und Dad klopft dir auf die Schulter und sagt, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst, einen Job kriegst du doch im Nu, wo dein Cousin Kranfahrer ist.
    Slattery setzt sich wieder an seinen Schreibtisch und verschränkt die Hände hinter dem Kopf, den Blick auf die Zahlenkolonnen gerichtet, die seine sieben Monitore hinuntermarschieren. Er drückt ein paar Tasten, und eine Zahlenreihe bleibt stehen, die Schlusskurse der Hongkonger Börse. Slattery reibt sich mit der Faust das Kinn und sieht zu den Wanduhren hinüber, den korrekten Uhrzeiten von Tokyo, Hongkong, Frankfurt, London, New York: 7 Uhr 57 hier an der Ostküste. Eine halbe Stunde noch, bis die Zahlen kommen. Das Stockwerk brummt, überall nervöses Geflüster, wie jeden letzten Donnerstag im Monat. Heute lässt sich viel Geld machen, viel Geld in den Sand setzen.
    Slatterys Augen sind mit schwarzen Halbmonden unterlegt. Er steht jeden Morgen um halb sechs auf und fährt zehn virtuelle Meilen auf seinem Heimtrainer. Eine Stunde später ist er im Büro, macht die Kiste an und sucht seine sieben Bildschirme nach Informationen ab, nach Hinweisen, die er gestern Nachmittag vielleicht übersehen hat.
    Die braunen Locken haben ihren langsamen Rückzug von der Stirn bereits angetreten. Als Ex-Ringer hat Slattery eine vier Mal gebrochene Nase, Ohren wie Blumenkohl und abgebrochene Vorderzähne von einem versehentlichen Kopfstoß während seines zweiten Jahres auf dem College. Sein Hals ist seit den Trainingstagen kräftig geblieben, im Gegensatz zum Rest seines Körpers. Den obersten Hemdknopf hat er seit der High School nicht mehr zugekriegt.
    »Kommst du nachher mit raus?«
    Slattery sieht von seinen Bildschirmen auf und nickt seinem Supervisor zu, dem Mann, der ihn vor vier Jahren in die Firma geholt hat: Ari Lichter, das plumpe Gesicht gerötet von den drei Blocks Fußweg von der U-Bahn bis hierher. Er hat einen Wintermantel an, obwohl es heute früh zu warm ist für die Jahreszeit.
    »Du schuldest mir zehn Dollar«, sagt Slattery.
    »Dir auch einen guten Morgen.« Lichter blättert in seiner Geldbörse, findet einen Zehn-Dollar-Schein, gibt ihn ihm. »Ich will von dir ja nicht die Daumen gebrochen kriegen.«
    »Danke, Boss. Nie auf die Sixers wetten — wer so viele Trainer verschleißt.« Slattery zieht den Schein straff. »Bisschen warm für so einen Mantel, oder?«
    »Soll später noch schneien. Falls du Lust hast, diesen Haufen Geld wieder loszuwerden, nach Feierabend gehen noch ein paar Leute zu Sobie's und sehen sich das Knicks- Spiel an.«
    »Zu Sobie's?« Slattery sieht seinen Boss skeptisch an. »Immer noch auf diese Barfrau scharf?«
    »Ich mag den Laden. Die haben gutes Bier.«
    »Oh ja, das beste Budweiser der Stadt. Die Kleine ist keine zwanzig. Sie könnte deine Tochter sein, Boss.«
    Lichter schüttelt den Kopf. »Pass mal auf, junger Freund, ich bin ein dicker, zufriedener Vörstadtpapa. Und ich halte mich an die Regeln. Aber hinschauen darf ich.«
    »Da kannst du mir morgen von berichten«, sagt Slattery. »Heut bin ich mit ein paar Freunden unterwegs.«
    »Große Verabredung?«
    »Nee, von wegen. Nur so 'ne Art Abschiedsparty.«
    Die Erwähnung seiner Pläne für den Abend versetzt Slattery in Unruhe. Bis jetzt hat er es heute Morgen geschafft, jeden Gedanken an Monty mit den Zahlen auszulöschen, den beständigen Risikobewertungen und Risikoneubewertungen. Er fragt sich, was sein Freund wohl mit Doyle machen wird. Die beiden sind unzertrennlich, seit Monty den Hund vor vier Jahren gefunden hat; Monty kann kaum schlafen ohne den Pitbull vor der Schlafzimmertür. Schlimm genug, einen Menschen in eine Zelle zu sperren, ihn von seiner Familie, seinen Freunden, seiner Stadt wegzusperren — könnten sie ihm nicht wenigstens den Hund lassen? Wenn er Doyle hätte, der ihm morgens das Gesicht ableckt, der zur Warnung bellt, wenn jemand Fremdes kommt, der einfach da ist, leise und zufrieden, den Kopf zwischen die Pfoten gelegt, und ihn aus seinen braunen Augen ansieht - dann würden die sieben Jahre vielleicht schneller rumgehen.
    »Noch was«, sagt Lichter. »Hältst du immer noch diese ganzen
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