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25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden
Autoren: David Benioff
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Drohungen, ihren Masturbationsgrunzem und dumpfen Bass tönen aus den verbotenerweise noch laufenden Radios. Zweitausendfünfhundert Nächte in Otisville, auf einer schweißfleckigen Matratze, zwischen tausend schlafenden Sträflingen, der nächste Freund neunzig Meilen weit weg. Grüner Fluss, Stahlbrücken, rote Schlepper, steinerner Leuchtturm.
    Monty sitzt auf einer Bank auf der Promenade am East River, trommelt mit der Rechten auf den rissigen Latten, die Leine fest ums Handgelenk gewickelt. Er schaut sich Queens durch die geschwungenen Eisenstangen des Geländers an, die Triborough Bridge im Norden, die 59th Street Bridge im Süden. In der Mitte des Flusses die Nordspitze von Roosevelt Island, bewacht von einem alten gemauerten Leuchtturm.
    Der Hund will laufen. Er zerrt an der Leine, schiebt sich mit den Hinterläufen vorwärts. Die Muskeln treten hervor; die schwarzen Lefzen sind zurückgezogen, dass die Fänge leuchten. Nach vier Jahren Hunderunden am Fluss weiß Monty, was der Promenade blüht, wenn er Doyle laufen lässt: Krieg. Vielleicht besteigt der Pitbull dann das Dalmatinerweibchen drüben bei dem kaputten Springbrunnen, vielleicht legt er sich auch mit dem Rottweiler an. Doch ganz egal, ob dann Hundesperma oder Hundeblut verspritzt wird und die Riesenarena von Bellen und Jaulen widerhallt - Doyle will los.
    Der Fluss treibt zehn Meter unter Mann und Hund dahin, eine grüne Brühe, hier und da mit schimmernden Getränkedosen durchsetzt. Ein frisch gestrichener roter Schlepper, die Seiten mit LKW-Reifen bestückt, zieht einen Müllkahn den Fluss hinab. Über dem Kahn kreisen Möwen und beschimpfen einander, die weißen Flügel durchsichtig in diesen ersten hellen Minuten des Tages. Sie stürzen auf die Wellen hinab und schnappen sich essbare Brocken, verschlucken sie mit einer knappen Kopfbewegung.
    Doyle macht Platz und sieht traurig zu den anderen Hunden hinüber, das Maul leicht geöffnet. Ab und zu kommt seine Zunge hervor. Ein Taubenmännchen, die Füße von der Farbe gekauten Kaugummis, stolziert mit geschwellter Brust und wippendem Kopf näher, bis der Pitbull es mit einem beiläufigen Knurrlaut verscheucht. Drei Bänke weiter übt ein Mann auf einer zwölfsaitigen Gitarre seine Griffe. Zwei junge Männer in Kapuzenpullis kommen vorbei, die Jeans unterhalb der Hüfte, grüne Buchstaben auf die Knöchel tätowiert. Sie nicken Monty zu, aber er nimmt sie nicht wahr. Er sieht sich den Flusslauf im Süden an, die riesigen Schornsteine von Queens, die weiße Wolken himmelwärts blasen, die Straßenbahn, die von Roosevelt Island hochfährt, den schimmernden Verkehr auf der 59th Street Bridge. Über LaGuardia steigt ein Flugzeug auf, und Monty schaut zu, wie es den linken Flügel neigt und nach Westen abbiegt. Er ist völlig darauf konzentriert, auf die Leichtigkeit, mit der der silbrige Jet davonschießt.
    Auf die um sein Handgelenk gewickelte Leine kommt Zug. Doyle hat sich wieder aufgesetzt und bellt einen näher kommenden Mann drohend an. Der Neuankömmling bleibt stehen, ein ängstliches Halblächeln im Gesicht. Er ist nicht der unüblichen Wärme dieses Januarmorgens entsprechend angezogen: langer Schal, zwei Mal um den Hals gewickelt, schwerer Daunenparka, dessen Nähte sich lösen, Gummistiefel bis knapp unter die Knie. Er tritt vom einen Fuß auf den anderen und kaut hektisch Kaugummi.
    »Was ist los da oben, Monty? Bist früh unterwegs heute.«
    Das Flugzeug ist verschwunden. Monty nickt, sagt aber nichts.
    »Kannst du ihm mal sagen, dass gut ist? Hey, Hundi. Hey, guter Hund. Ich glaub, dein Hund kann mich nicht leiden.«
    »Geh weg, Simon.«
    Der Mann nickt, reibt sich die Hände. »Ich hab Hunger, Monty. Bin vor 'ner Stunde aufgewacht vor Hunger.«
    »Da kann ich nichts machen. Geh hoch zur Hundertzehnten.«
    »Zur Hundertzehnten? Hör mal, ich bin flüssig.« Er greift in die Tasche und holt eine Rolle Fünf-Dollar-Scheine hervor, die von einem Gummiband zusammengehalten werden.
    »Steck das ein«, faucht Monty. Doyle fängt an zu knurren.
    »Schon gut, schon gut. Wollt ja bloß klarstellen, dass ich keinen Gnadenschuss will.«
    Monty sieht zu dem Leuchtturm hinüber. »Ich bin draußen, Mann.«
    Simon deutet auf ein paar kleine Schorfstriche an seinem Kehlkopf. »Schau dir das an. Hab mich geschnitten heute Morgen beim Rasieren - vier Mal! Ich kann meine Hände nicht ruhig halten. Komm, Monty. Lass mich nicht hängen. Ich kann doch nicht nach Harlem — schau mich doch an. Wen kenn ich
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