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247 - Der Kerker der Pandora

247 - Der Kerker der Pandora

Titel: 247 - Der Kerker der Pandora
Autoren: Mia Zorn
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die Daa’tan befallen hatte:
    Der Sohn von Matthew Drax und Aruula lag in einer todesähnlichen Starre. Zunächst glaubte man an einen Trick. Sicherlich würde der teuflische Pflanzenmagier, wie ihn die meisten in Wimereux nannten, alles versuchen, um seinem Gefängnis zu entkommen. Auch der Behauptung seines Daa’muren-Freundes schenkte man keinen Glauben. »Er durchlebt einen von mehreren Wachstumsschüben«, beteuerte Grao’sil’aana wieder und wieder. »Ihr müsst ihn mit Erde und Laub bedecken!«
    Auf diese Forderung ging man schon gar nicht ein. Daa’tan mit Blättern und lebendigem Erdreich zu versorgen hätte ein ebenso großes Risiko bedeutet, wie einem Pyromanen Benzin und Zündhölzer zu überlassen.
    Erst nach Tagen, als der Zustand Daa’tans bedrohliche Formen annahm, wurde klar, dass die Starre nicht vorgetäuscht sein konnte: Herzrasen und Schweißausbrüche hatten aufgehört. Körpertemperatur und Organfunktionen des Jungen sanken auf ein Minimum. Aus seinem bleichen Gesicht starrte das Weiß seiner Augäpfel und seine Haut wirkte wie durchscheinendes Wachs. Nur an Finger- und Zehenspitzen war sie noch grün geädert. Schließlich hörte man auf Grao’sil’aana, hüllte Daa’tan in Decken und überschüttete ihn mit keimfreiem Sand. Danach begann ein endloses Warten.
    Tagelang tat sich nichts. Dann, bei einer der routinemäßigen Untersuchungen durch die Hofärzte Pilatres, stellte man Erstaunliches fest: Während die Körperfunktionen des Jungen gleich schwach blieben, veränderte sich sein Äußeres! Der Daa’mure hatte die Wahrheit gesagt. Mit bloßem Auge konnte man den Alterungsprozess Daa’tans verfolgen. Der Kaiser wollte damals von Grao’sil’aana wissen, wie oft der Pflanzenmagier solch einen Schub schon durchlebt habe und wie lange er dauerte.
    Doch der Gestaltwandler gab keine Auskünfte mehr. Fast schien er sich über den Ärger des Kaisers zu freuen, der es gar nicht schätzte, wenn man ihm eine Antwort schuldig blieb. Allerdings entdeckte Rulfan mehr als einmal eine Spur von Sorge im Echsengesicht des Daa’muren, wenn er durch die fingerdicken Scharten in die Nachbarzelle starrte, in der unter der Aufschüttung aus Decken und Sand sein Schützling ruhte. Bangte er um dessen Leben? Dauerte die Phase länger als sonst? Inzwischen erübrigte sich diese Frage. Der Wachstumsschub schien seinem Ende zuzugehen: Matthews Sohn erwachte allmählich.
    Bei der Dachschleuse angekommen, beugte sich Rulfan neben dem Kaiser über die Brüstung des Deckeneinstiegs. Die Sicherheitsgitter über beiden Zellen waren geschlossen. In der einen umringten sechs Meter unter ihnen vier bewaffnete Soldaten das Ärzteteam, das sich um Daa’tan kümmerte. Die beiden Assistenten Dr. Akselas hatten inzwischen Decken und Sand von Daa’tan entfernt. Reglos lag er in Fötusstellung auf einer hellen Unterlage. Als die Ärzte ihn auf den Rücken drehten, blieben seine Glieder in gekrümmter Position. Daa’tan machte alles andere als einen lebendigen Eindruck. In seiner Starre erinnerte er den Barbaren an einen erfrorenen Käfer.
    Nachdenklich betrachtete Rulfan den nackten Körper des jungen Mannes: seine zu Fäusten geballten Hände, die behaarte Brust und das bleiche Gesicht, das von dunklen Haaren umkränzt war. Seine Augen waren geschlossen. Dennoch wusste der Albino, dass Daa’tan dieselben blauen Augen wie sein Vater hatte. Die schön geschwungenen Lippen und die schwarzen Haare dagegen erinnerten ihn an Aruula.
    Leider waren es nur diese Ähnlichkeiten im Äußeren, in denen der Junge seinen Eltern glich. In seinem Verhalten hätte er auch der Sohn des Daa’muren sein können – oder der eines wild gewordenen Wakudabullen.
    Sein Hang zur Zerstörung kannte keine Grenzen. Sein Geist war zersetzt von Rachegelüsten gegenüber seinem Vater und einer fast kindlichen Gier, alles besitzen zu wollen, was ihm nicht gehörte. Optisch hatte er nun das Alter von Matthew Drax erreicht: Anfang/Mitte dreißig. Doch vermutlich blieb das ohne Auswirkungen auf den irregeleiteten Verstand des Jungen.
    Machte es nicht sogar alles nur noch schlimmer? Der weißhaarige Neo-Barbar konnte sich kaum vorstellen, dass sich Daa’tans Psyche mit dem körperlichen Wachstum mitentwickelt hatte. Dabei kam ihm ein weiterer erschreckender Gedanke: Was, wenn der Schub dessen Pflanzenkräfte verstärkt hatte? Oder er gar über neue, noch grausamere Eigenschaften verfügte?
    Pilatre de Rozier neben ihm bewegten anscheinend ähnliche
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