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247 - Der Kerker der Pandora

247 - Der Kerker der Pandora

Titel: 247 - Der Kerker der Pandora
Autoren: Mia Zorn
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konnte jemals in den Zellentrakt des Kuppelbaus gelangen. Und im Umkreis von zehn Metern verhinderte eine ein Meter dicke Betonschicht über dem Erdreich das Eindringen von Pflanzenkeimen. Victorius de Rozier, der Konstrukteur dieses Kerkers, hatte wirklich an alles gedacht. An jede grausame Kleinigkeit. Mit neuem Unbehagen folgte Rulfan dem Kaiser zum Sichtfenster. Er schauderte, als er sich vorstellte, auch nur einen einzigen Tag an diesem kalten, farblosen Ort verbringen zu müssen.
    Dennoch verstand er besser als jeder andere die drastischen Sicherheitsvorkehrungen. Mehr als nur einmal hatte er mit den beiden Gefangenen, für die diese Anlage erbaut worden war, Bekanntschaft gemacht. Sie verfügten über Kräfte, die über den menschlichen Verstand hinausgingen: Daa’tan, der Sohn von Aruula und Matthew Drax, vermochte jedes Gewächs innerhalb kürzester Zeit wuchern zu lassen – mit Vorliebe tödliche Dornenranken, um Menschen, Häuser oder sogar eine ganze Stadt einzuschließen.
    Sein ständiger Begleiter, der Grao’sil’aana hieß und meist Grao genannt wurde, war ein Daa’mure, ein echsenartiges Wesen, durch unzählige Mutationen entstanden. Die Geister, die diesen Wirtskörper innewohnten, stammten nicht von dieser Welt, sondern waren in grünen Kristallen auf einem vermeintlichen Kometen auf die Erde gelangt. Derselbe Komet, der in Wahrheit ein lebendes kosmisches Wesen namens Wandler war, hatte sein Dienervolk vor knapp zwei Jahren wieder mit ins All genommen.
    Grao, der vielleicht letzte Daa’mure auf Erden, verfügte über die doppelte Muskelmasse Rulfans und überragte ihn um anderthalb Kopfgrößen. Er war ein Gestaltwandler, konnte also sein Aussehen beliebig verändern. Glücklicherweise war es ihm aber nicht möglich, seine Masse zu verringern; ansonsten hätte selbst dieser Kerker ihn nicht halten können.
    Bei der Erinnerung daran, welches Leid und Unglück die beiden über die Stadt und das Land gebracht hatten, erschien Rulfan die Gefängnisanlage plötzlich weit weniger grausam als noch Minuten zuvor. Außerdem, welche andere Möglichkeit hatten der Kaiser und seine Männer denn, den Pflanzenmagier und den Gestaltwandler daran zu hindern, einen neuerlichen Angriff auf die Stadt auszuführen? Diese Anlage war im Moment die einzige Lösung.
    Mit diesen Gedanken blieb der Albino vor dem Ring aus Panzerglas stehen und warf einen Blick hindurch. Er sah den Daa’muren, der reglos vor der Zwischenwand lag, die seine Zelle von der Daa’tans trennte. In seiner natürlichen Gestalt erinnerte er Rulfan an eine Echse mit humanoiden Zügen: Myriaden winzigster Schuppen bedeckten seinen muskulösen Körper. Sein kahler Schädel zeigte ein grobschlächtiges Gesicht mit flacher Nase und blau-schwarzen Lippen. Die Lider unter seiner Stirnwulst waren geschlossen.
    Kurz erinnerte sich der Mann aus Salisbury an die Schlacht am Uluru. Gemeinsam mit dem Wandler und den Daa’muren hatten sie dort den Finder und seine Anhänger besiegt. Nach dem Kampf war der Wandler mit allen überlebenden Daa’muren in den Weltraum zurückgekehrt. Aber war Grao’sil’aana tatsächlich der letzte seiner Art, der hier auf Erden wandelte? Gab es nicht noch weitere, die vom Sol, dem Anführer der Daa’muren, damals überall als Spione eingesetzt worden waren?
    Nun, Grao würde darüber keine Auskunft geben. Wenn er es überhaupt selbst wusste. Nachdenklich strich Rulfans Blick über die bläulich-grün schimmernde Schuppenhaut des Wesens. Grao schien zu schlafen – aber das war vermutlich eine Finte. Hoffte er vielleicht durch die Dachschleuse entkommen zu können, jetzt da sich ein Ärzteteam um Daa’tan kümmerte? Aber die lag sechs Meter hoch; zudem konnte jederzeit ein betäubendes Gas eingelassen werden, dem auch er nichts entgegenzusetzen hatte.
    »Kommen Sie, Monsieur Rulfan, steigen wir zur Dachschleuse empor«, unterbrach die Stimme des Kaisers Rulfans Gedanken. Sie klang herzlich. Nichts war mehr zu spüren von Argwohn und Enttäuschung nach dem Vorfall mit dem Schamanen Aldous. So erwiderte der Barbar de Roziers Lächeln mit einem freundlichen Nicken und kletterte hinter ihm die Stiegen zum Scheitelpunkt der Kuppel hinauf.
    Drei Wochen waren vergangen, seit Pilatre de Rozier Rulfan von seinem Weg nach Taraganda in die Kaiserstadt zurückholen ließ. Drei Wochen, in denen Kaiser und Barbar vergangene Missverständnisse klären konnten. Drei Wochen in denen sie täglich über die seltsame Krankheit rätselten,
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