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242 - Im Fadenkreuz

242 - Im Fadenkreuz

Titel: 242 - Im Fadenkreuz
Autoren: Jo Zybell und Mia Zorn
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der Dunkelheit. Zwei weitere Männer tauchten aus der Gasse auf, Bewaffnete. Schwer atmend folgten sie dem Flüchtenden. Vermutlich hatten sie den Einbrecher auf frischer Tat ertappt. Und noch immer stritten irgendwo in den Nachbarhäusern ein Mann und eine Frau miteinander, lauter und lauter.
    Wehmütig dachte der Rev’rend an die Monate zurück, in denen noch Zucht und Ordnung in seinem Teil Waashtons – im Waashican – geherrscht hatten. Wenn man damals nachts am Fenster stand, hatte man betende oder singende Gläubige gehört.
    Vorbei. Seit die meisten Rev’rends den Märtyrertod von Dämonenhand gestorben waren, feierte auch im heiligen Teil Waashtons die Sünde wieder ihre Triumphe. Stadt Gottes? Vorbei. Nicht einmal die Grenze zwischen Waashican und Waashton achteten sie noch, die Ungläubigen. Dabei war sie doch vertraglich festgelegt.
    »O HERR, allmächtiger GOTT! Mögest du selbst eingreifen, damit diese Stadt ein für alle Mal zur Stadt Gottes wird. Und bitte hilf mir, mich an meinen Traum zu erinnern.«
    Verbittert sah der Erzbischof über die Dächer zur Kuppel des Capitols, die sich ein paar hundert Meter weiter im Mondschein erhob. Auf halber Strecke zwischen dieser Kuppel und seinem Fenster verlief die Grenze zwischen Waashton und Waashican. Doch wie hätte Rev’rend Rage sie verteidigen sollen? Die Schar der Gläubigen war inzwischen auf unter siebzig geschrumpft, auf ein knappes Fünftel der Einwohner Waashtons. Ein halbes Jahr zuvor gehörte noch mehr als ein Drittel aller Bürger zu seiner Gefolgschaft. Und ein einziger Rev’rend war noch übrig geblieben, der gemeinsam mit ihm das Gesetz des HERRN predigte und die Flamme des Glaubens hochhielt: Rev’rend Torture.
    »Strafe Arthur Crow, o HERR«, betete Rev’rend Rage murmelnd. »Rotte ihn und seine Nachkommen aus von dieser Erde, denn er hätte es beinahe geschafft, dein Werk in Waashton ganz und gar zugrunde zu richten. Keine bleibende Stätte sei dem Heuchler und Ungläubigen gewährt, nirgendwo!«
    Der Gedanke an Crow erfüllte den Erzbischof mit übergroßem Zorn. Seine widerlichen Dämonen hatte Orguudoos General auf die arme Siedlung gehetzt! Allein seine Dämonen, diese seelenlosen künstlichen Kreaturen, waren es gewesen, die all die braven Rev’rends getötet und all die Frischbekehrten in tiefe Glaubenszweifel an die Allmacht Gottes gestürzt hatten!
    Rev’rend Rage betete gegen seinen Zorn an. Die Erinnerung an den Engel in seinem Traum half ihm, zu andächtiger Gelassenheit zurückzufinden. Das Glücksgefühl aus dem Traum war inzwischen verblasst. Wenn er sich doch nur erinnern könnte…
    Rev’rend Rage dachte an seinen letzten Mitbruder. Er seufzte. Rev’rend Torture war mit großer körperlicher Kraft gesegnet. Der Verstand des Inquisitors dagegen… nun ja, sein Verstand war eher von bescheidener Kraft.
    Noch immer tönten die kreischenden Stimmen des streitenden Paares durch die Nacht. Aus der Dunkelheit der Gasse unter Rev’rend Rages Fenster tauchten ein Mann und zwei Frauen auf. Die Frauen kicherten, der Mann hatte die Arme um beide gelegt. Alle drei wankten durchs Mondlicht und verschwanden schließlich schräg gegenüber im Dunkel eines Hauseingangs. Eine Zeitlang hörte man noch das Kichern der Frauen, während die drei die Treppen des dreistöckigen Hauses hinaufstiegen. Dann ging eine Tür, und dann war Stille,
    Rev’rend Rage dachte an den Engel in seinem Traum. Er war groß und stark gewesen und hatte eine tiefe Stimme gehabt. Eine glückliche Zukunft hatte er ihn schauen lassen; eine Zukunft, in der die Menschen dieser Stadt sich zum Herrn bekehren und sein Gesetz ehren würden. Und er, der Erzbischof Rev’rend Rage, würde diese Zukunft herbeiführen.
    Schräg gegenüber flackerte Kerzenlicht hinter einem Fenster auf. Rev’rend Rage sah die Umrisse zweier Frauen und eines Mannes. Sie zogen einander aus. Der Erzbischof hielt den Atem an. Erschrocken drehte er sich um. Ein Sündenpfuhl war Waashton geworden, wahrhaftig! Schlimmer als je zuvor! Jeder Tag und jede Nacht brachten neue und entsetzlichere Beweise dafür. Und dennoch dieser herrliche Traum? Und dennoch diese glückliche Zuversicht in der Brust?
    Lustgestöhn drang aus dem geöffneten Fenster des gegenüberliegenden Hauses. Rev’rend Rage schloss rasch sein eigenes Fenster. Er lief zu seinem Lager, verkroch sich unter seine Decken und verbrachte den Rest der Nacht betend und grübelnd.
    Im Morgengrauen klopfte es an seiner Tür. Rev’rend
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