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241 - Splitterzeit

241 - Splitterzeit

Titel: 241 - Splitterzeit
Autoren: Manfred Weinland
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Menschen zunutze machen wollen.«
    »Sie sprechen nicht wie ein Bandit, das ist wahr.« Sie lächelte scheu. »Aber den wirklich Bösen sieht man ihre Natur selten an – das sagte schon meine Mum, als ich noch ein Kind war.«
    »Ihre Mum ist eine kluge Frau.«
    »War«, erwiderte sie. Dabei senkte sie für einen Moment den Blick.
    »Das tut mir leid.«
    »Ja, mir auch.«
    Unbehagliches Schweigen füllte den Raum. Schließlich räusperte sich Matt. »Kann ich… etwas zu trinken haben?«
    Wortlos ging die Frau hinaus und kehrte mit einem Porzellanbecher zurück, den sie Matt an die Lippen hielt, nachdem er sich etwas aufgerichtet hatte. Er trank gierig und hatte danach das Gefühl, dass es ihm etwas besser ging. Er sank wieder zurück. »Wie heißen Sie?«
    »Anne Fargo. Und Sie?«
    »Matt.«
    »Freut mich, Matt.«
    Er räusperte sich. »Ich… habe eine Tochter namens Ann. Sie lebt bei ihrer Mutter.«
    Mein Gott – Ann und Jenny. Wie lange hatte er schon nicht mehr an die beiden gedacht? Wenn er jemals in seine Zeit zurückkehren konnte, musste er sie ausfindig machen. Auch wenn das Kind aus einer erzwungenen Verbindung mit seiner ehemaligen Staffelkollegin Jenny Jensen hervorgegangen war und er sie kaum zu Gesicht bekommen hatte, fühlte er sich doch für Ann verantwortlich – und empfand durchaus väterliche Gefühle für sie. [1]
    »Hier in Frisco?«
    Anne Fargos Stimme klang besorgt, aber Matt schüttelte den Kopf. »Nein, irgendwo in England oder Schottland. Wir… haben uns vor Jahren getrennt.«
    »Verstehe.«
    Natürlich verstand sie nicht, wie sollte sie auch? Aber dass der Fremde seine Frau aus den Augen verloren hatte, erschien ihr nicht verwunderlich. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es noch keine Fluglinien über den »Großen Teich«, und statt Satellitenhandys und Internet war die einzige Verbindung zur Alten Welt ein vor fünfzig Jahren verlegtes Interkontinentalkabel.
    Dass sich Anne mit ihm unterhielt, bedeutete, dass sie sich nicht länger vor ihm fürchtete – dennoch würde sie seine Fesseln nicht lösen, und Matt hatte nicht vor, sie darum zu bitten. Er bewegte sich auf einem schmalen Grat. Jeder Überredungsversuch hätte sofort das zarte Pflänzchen Vertrauen zerstört, das zwischen ihn zu keimen begann.
    »Wo bin ich hier? Doch nicht mitten in der Stadt? Es ist so ruhig. Kein Lärm, kein Geschrei, kein Rauch…«
    »Unser Haus liegt außerhalb. Mit dem Pferd sind es nur ein paar Minuten bis zum Stadtrand. Unsere nächsten Nachbarn sind eine Meile entfernt.«
    In diesem Moment wurden Schritte laut. Ein Junge von vielleicht vier Jahren tauchte in der Tür auf. Er hielt etwas aus Wolle in den Händen, das er fest an sich schmiegte. Es war kein Teddy, aber wohl irgendeine selbst genähte Vorform davon. Er hatte kurzes, streng gescheiteltes Haar von derselben Farbe wie seine Mutter. Und er hatte ihre Augen. Sein noch weiches, unausgereiftes Gesicht drückte die Neugier aus, die ihn hergetrieben hatte. Zugleich war auch wache Vorsicht zu erkennen. Diese kluge Zurückhaltung, die auch seiner Mutter zueigen war.
    »Edward… du solltest doch nicht –«
    »Ist der Mann krank?«
    Sie nickte. »Ein wenig. Aber jetzt geh. Ich komme gleich. Das hier… ist nichts für dich.«
    »Ist der Mann böse?« Edward machte nicht den Eindruck, als wollte er der Weisung seiner Mutter Folge leisten.
    Anne zögerte. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Er ist nicht böse. Er hat vermutlich einen Fehler gemacht, etwas getan, das bestraft werden muss. Aber er ist kein böser Mensch. Dad hätte keinen bösen Menschen zu uns gebracht, mein Junge – das weißt du doch.«
    »Wo ist Dad?«
    »In der Stadt. Er hilft den Leuten, die alles verloren haben. Wir selbst hatten Glück, großes Glück. Unser Haus ist kaum beschädigt.«
    »Ich will auch in die Stadt. Zu Daddy.«
    »Das geht nicht. In der Stadt sind Feuer. Überall brennt es. Ich hab es dir doch erklärt. Dad kommt zurück, sobald er kann. In der Zwischenzeit…«
    Er sah sie an.
    »In der Zwischenzeit kümmern wir uns um uns selbst und um unseren Gast.«
    »Warum hat er Handschellen, wenn er nicht böse ist?«
    »Das ist nur…« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich erkläre es dir später. Ich komme gleich. Geh jetzt. Bitte. Ich bin sofort bei dir.«
    Leicht widerstrebend wandte sich der Junge ab und schlurfte davon.
    Matt hatte sich die ganze Zeit zurückgehalten. »Machen Sie sich keine Sorgen, Anne. Wie Sie selbst sagten: Sie haben ungeheures
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