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2274 - Motoklon Hundertneun

Titel: 2274 - Motoklon Hundertneun
Autoren: Unbekannt
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aufgrund dieser Beimengung im Kher-Diamanten ausgeschlossen.
    Es gab keine andere Möglichkeit, ins System einzudringen, als eine der Flugrinnen zu nutzen.
    Die BLENDE-Forts sicherten die lediglich sechs schmalen Passagewege. Ihre vielfältigen Waffensysteme leuchteten von allen Seiten in bedrohlichem Grün. Sonst lieferten die Ortungsmasken nur unzulängliche Informationen über das, was im Kher-Diamanten war.
    Die INTUUL tauchte in Schleichfahrt durch Korridor Vier. Das Schiff benötigte für die elf tausend Kilometer mehr als eine Stunde. Hundertneun hatte sich während seines unfreiwilligen Aufenthaltes im Graugischt-System angepasst und das hexadezimale Zahlensystem der Kybb in einem Endspeicher abgelegt. Er nutzte stattdessen jene Maßeinheiten, die Atlan, Rhodan und auch Zephyda meist verwendeten.
    Auf der anderen Seite des Kher-Diamanten erwarteten sie zwölf Zylinderdisken - und zwei der imposanten Kybb-Titanen: stachelige, kugelige Riesen. Allein der Anblick strahlte Aggression und Bedrohlichkeit aus. Hundertneun ließ sich von den Äußerlichkeiten jedoch nicht täuschen.
    Denn im Inneren war es noch schlimmer. Er wusste es; schließlich hatte er in einem dieser Stachelschiffe erstmals sein Bewusstsein erlangt.
    Schon waren sie vorbei an der Wachflotte. Die INTUUL bewegte sich weiterhin nach Routinen, die im Voraus festgelegt worden waren. Tagg Kharzani duldete im unmittelbaren Nahfeld seiner Heimat keinerlei Abweichen von Normen. „Lass überprüfen, wie viele Schiffe derzeit im Kher-System stationiert sind!", befahl der Motoklon.
    Binne Mandel gehorchte. Auftragsgemäß holte er die Informationen ein. Auch wenn er sich insgeheim Fragen über den Motoklon stellen mochte - nie würde er es wagen, sie laut in dessen Gegenwart zu äußern. „Vierhundert Kriegsdisken, dreihundertfünfzig Traponder sowie achtundsechzig Kybb-Titanen", antwortete der Eins-Plan schließlich. Er beugte seinen Rücken, machte ihn rund.
    Ein Zeichen der Furcht.
    Angst unterdrückt, ließ Hundertneun einen analytischen Gedanken durch seine Gehirnroutinen jagen. Und Angst gebiert Kontrolle.
    Kontrolle war für ihn zu etwas sehr Wichtigem geworden.
    Er hatte die Umpolung seines Loyalitätszentrums nach der Gefangennahme auf Graugischt zur Kenntnis genommen. Was bedeutete, dass er um die Änderung wusste. Freund war Feind, Feind war Freund geworden.
    Wenn ein Motoklon etwas wusste, konnte er analytisch darüber nachdenken. Wenn er über etwas nachdachte, zog er in weiterer Folge Schlüsse daraus. Was wiederum bedeutete, dass er, Hundertneun, in engem Rahmen Kontrolle über sich und seine Gedanken besaß. Und irgendwo, das ahnte er, an einem nicht definierten Punkt seiner geistigen Gebetsmühle steckte ein Hindernis. Ein Reibepunkt. Etwas, das seine frisch entdeckte Einzigartigkeit unter Belastung stellen würde.
    Hundertneun würde sich entscheiden müssen. Für eine der beiden Seiten in diesem Krieg.
    Die INTUUL erhielt unverzüglich Landeerlaubnis auf Kherzesch, unweit vom Palais des Lebendigen.
    Hundertneun hatte damit gerechnet. Motoklone waren nicht irgendwer. Sie stellten in gewissem Sinne das Rückgrat des Reiches dar, auch wenn sie nur wenige hundert Exemplare zählten. Mit weitgreifenden Schritten verließ er die Zentrale und marschierte schnurstracks zu Lyressea.
    Sie blickte ihn teilnahmslos an, als er die karg eingerichtete Kabine betrat.
    Die Mediale Schildwache trug andere Kleidung, als er bislang an ihr gesehen hatte. Einen eintönig grauen Overall aus Shoziden-Fertigung, der ihren schlanken Körper fest umpackte.
    Blaustichige Haut und silbergraue, stechende Augen bildeten einen seltsamen Kontrast zum Anzug und verwirrten Hundertneun.
    Zudem irritierte ihn die annähernde Perfektion ihres Körpers. Organische Wesen, egal welcher Art und Gattung, waren herkömmlicherweise unsynchron und abgenutzt. Sie besaßen unterschiedlich lange Gliedmaßen, Narben, Falten oder Hautunreinheiten. Ein schleifender Schritt, ein unruhiges Knacken der Stachelhaut oder ein gelangweiltes Gähnen in bestimmter Tonlage - das alles erzeugte einen individuellen Erkennungsstrang, den er registrieren und abspeichern konnte und der ihm weitaus wichtiger war als zum Beispiel ein sinnloser Name.
    Aber hier, bei dieser perfekten Frau, gab es nichts, an dem er sich orientieren konnte. Sie war wie eine Pflanze, an der alle Witterungseinflüsse wie Wasser abtropften.
    Hundertneun wusste, dass Lyressea kein Androidengeschöpf wie er selbst war.
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